Lux perpetua
an meinem
Sarg singen, beten, Kerzen anzünden und Räucherwerk verbrennen. Mit allem Prunk und allen Förmlichkeiten, ich weiß nicht,
verdammt noch mal, ob sie den Bischof so feierlich zu Grabe tragen werden, wenn der den Löffel abgibt, was Gott so rasch wie
möglich geschehen lassen möge. Fragst du dich nicht, woher ich das von meinem Begräbnis weiß? Bruder, ich habe einen Wahrsager
in meinen Diensten, einen
sortilegus
und Magier.Der ist zwar eher so eine Art Federviehmagier, er fängt Hühner und Enten, weidet sie aus und liest die Zukunft aus ihren Eingeweiden.
Aber er erzielt damit gute Ergebnisse, das muss man schon sagen.«
»Und dieser Haruspex hat dir so ein pompöses Begräbnis geweissagt? Lass mich raten: Im hohen Alter? Nach einem glücklichen
Leben? In Ruhm und Reichtum? Lass mich raten: Du entlohnst ihn großzügig? Sicherst seiner Familie, seinen Verwandten und Bekannten
den Lebensunterhalt?«
»Dein Spott trifft mich nicht.« Die Miene des Herzogs verdüsterte sich. »Der Wahrsager hat mir weder des Geldes noch des Ruhmes
wegen die Zukunft vorausgesagt. Denn er hat nicht gezögert, mir auch Dinge zu sagen, für die ich ihn fast von den Pferden
zu Tode hätte schleifen lassen. Er hat mir vorausgesagt
. . .
Ach, das geht dich gar nichts an. Außerdem, es kommt, wie es kommen muss. In das Schicksal kannst du nicht eingreifen.«
»Aber man kann sein Schicksal beeinflussen.«
»Ehrlich gesagt, verlasse ich mich nicht darauf«, bekannte Wołoszek. »Der Zauberer hat mir zwar aus den Eingeweiden der Enten
ein langes, erfülltes Leben vorhergesagt und danach einen ruhmreichen und ehrenvollen Tod und ein prunkvolles Begräbnis. Aber
ich werde mich deswegen nicht auf meinen Lorbeeren ausruhen, ich werde nicht tatenlos zusehen, bis das vorausgesagte Glück
kommt. Ich will mein Schicksal in die Hand nehmen. Die Welt steht am Scheideweg, das weißt du nur zu gut. Schlesien steht
ebenfalls am Scheideweg. Ich denke, ich weiß, was ich tun werde, ich habe mich schon so gut wie entschieden. Aber zuvor wollte
ich mich mit dir treffen, Kamerad. Deswegen habe ich verlangt, dass du die Gesandtschaft begleitest. Ich vertraue dir.«
Reynevan nippte an seinem ungarischen Wein, er gab keinen Kommentar dazu ab.
»Genau vor einem Jahr«, fuhr Wołoszek fort, »an der Straduhne, als fast wie jetzt die Weidenkätzchen blühten, hast dumir von der Revolution erzählt. Vom Streitwagen der Geschichte, der auf seiner Fahrt das Alte niederwalzt, um Platz für das
Neue zu schaffen. Du hast mir geraten, mich den Siegern anzuschließen, denn den Verlierern bleibt das Leid, die Sieger aber
erwartet Ruhm, Herrschaft und Macht. Dieses Bild hast du mir gezeichnet.«
»Ein Jahr ist seither vergangen. Es ist Karsamstag, morgen ist Ostern. Bedřich ze Strážnice, Prokops Gesandter, ist angekommen.
Mit einem Angebot, mit einem konkreten Vorschlag. Was ich wissen will: Ist das ein ehrliches Spiel? Reynevan? Soll ich ein
Bündnis mit Prokop und Korybut eingehen?«
Bolko Wołoszek, der Herr von Oberglogau, der Erbe des Herzogtums Oppeln, ein Piast aus dem Geschlecht der schlesischen Piasten,
musterte Reynevan mit einem durchdringenden Blick.
Reynevan senkte die Augen nicht.
»Wenn ich mich mit Tábor verbünde«, fragte der Herzog mit ernster Miene, »erklimme ich dann den Streitwagen der Geschichte
oder steige ich tief hinab in die Hölle? Was ist dieses heraufziehende und herbeigesehnte Neue? Das Paradies? Oder die Apokalypse,
die verkündet: ›Wehe den Siegern und den Besiegten‹? Soll ich mich mit Prokop und Bedřich verbünden, ihren Ideen und ihrem
Glauben folgen? Hand aufs Herz, Reinmar, sieh mir in die Augen. Und antworte mir als einem Freund, einem Kommilitonen, antworte
mir mit einem Wort: Ja oder nein? Ich werde bis dahin die Luft anhalten.«
Der Ostersonntag begrüßte Oberglogau von der Morgendämmerung an mit Sonne, Frühlingslüften und Vogelgezwitscher. Die Glocken
erklangen, die Auferstehungsprozession begann sich in Bewegung zu setzen.
Surrexit Dominus, surrexit vere,
et apparuit Simoni.
Alleluia, alleluia !
Die Prozession wurde vom Guardian der Franziskaner angeführt, der zugleich der Lektor des Kollegiatstifts war. Hinter ihm
zogen die Franziskanermönche einher. Hinter ihnen die Ritterschaft, die vor allem mit polnischen Wappen glänzte. Dahinter
das Patriziat, die Bürger, die Kaufleute. Die paar, die in der zerstörten und zur Bedeutungslosigkeit
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