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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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muss sie häufig austauschen. Gegen eine neue und unverbrauchte, denn wenn sie zu alt geworden ist, verliert sie jeglichen
     Wert.«
    »Du wirst mir nicht in den Tod entfliehen«, setzte er mit einem widerlichen Lächeln hinzu. »Dein abgestandenes altes Gift
     wird dich nicht umbringen. Du kriegst davon höchstens Durchfall. Und Bauchschmerzen. Ich seh’ schon, wie du anfängst, dich
     zu winden. Setzt ihn hin, sonst fällt er noch um.« Die Schergen durchsuchten den Raum, sie taten dies mit bemerkenswerter
     Routine. Der Mauerläufer schloss das Fenster und schnitt damit das Zimmer vom Straßenlärm ab. Die Stimmen der Schüler, die
     ihre Lektion wiederholten, waren deshalb wieder deutlicher zu hören. Nun konnte man auch die Worte verstehen.
    Nolo putes pravos homines peccata lucrari:
    temporibus peccata latent, sed tempore parent.
    »Die ›Disticha Catonis‹«, sagte der Mauerläufer. »Es ändert sich nichts. Seit Jahrhunderten schon bläut man den Rotznasen
     diese Weisheitslehren ein, immer wieder dasselbe. Auch du, Baccalaureus, hast irgendwann im Takt dieser Distichen die Rute
     zu schmecken bekommen. Aber wie es scheint, hat man dich nicht gut genug bearbeitet. Die Lektion hat nichts genützt, Catos
     Weisheit ist im Winde verweht.
Temporibus peccata latent, sed tempore parent.
Und du, hast du etwa gedacht, du könntest dich mit deinem Procedere ewig vor uns verstecken? Der Herr Superspion, der berühmte
     Schatten, der Mann ohne Gesicht? Hast du gehofft, du könntest auf ewig unerkanntbleiben? Deine Hoffnung war vergeblich, Domarask, vergeblich. Mit anderen Worten: Lass alle Hoffnung fahren. Hoffnung ist
     die Mutter der Dummen.«
    Er beugte sich vor und sah, dem Spion ganz nah, diesem in die Augen. Obwohl er durch die Magenkrämpfe nahe daran war, ohnmächtig
     zu werden, riss Wendel Domarask sich zusammen und erwiderte den Blick. Gelassen, beharrlich und verächtlich.
    » Spes una hominem nec morte relinquit
«
, erwiderte er mit fester Stimme.
    Der Mauerläufer schwieg eine Weile, dann lächelte er. Mehr als widerwärtig.
    »Cato hat auch nicht die Weisheit mit Schöpflöffeln gefressen«, antwortete er dann und betonte dabei jedes Wort. »Vor allem
     von der Hoffnung hatte er eine viel zu hohe Meinung. Offenbar aus Mangel an Erfahrung. Ich glaube, er ist nie in den Keller
     des Breslauer Rathauses und in die Folterkammer dort vorgedrungen.«
    Wendel Domarask, Chef des taboritischen Geheimdienstes in Schlesien, schwieg lange und kämpfte gegen die Krämpfe in seinen
     Eingeweiden und das Schwindelgefühl in seinem Kopf an.
    »Der Philosoph sagt«, brachte er endlich hervor und blickte in die schwarzen Augen des Mauerläufers, »der Philosoph sagt,
     Geduld ist die größte aller Tugenden. Es genügt, sich an das Ufer eines Flusses zu setzen und zu warten. Die Leiche deines
     Feindes wird in jedem Fall vorbeischwimmen, früher oder später. Dann wirst du auf den Leichnam herabsehen können. Sehen, wie
     der Strom ihn herumwälzt. Wie die Fischlein an ihm herumknabbern. Weißt du, was ich tue, Grellenort, wenn all das vorbei ist?
     Ich werde mich ans Flussufer setzen. Und warten.«
    Der Mauerläufer schwieg lange. Seine Vogelaugen blieben absolut ausdruckslos.
    »Nehmt ihn mit«, befahl er schließlich.
     
    Der Inquisitor Gregor Hejncze faltete seine Hände und barg sie unter dem Skapulier. Skapulier und Habit waren frisch gewaschen
     und dufteten noch nach Seifenlauge. Der Geruch beruhigte. Er half einem, sich zu beruhigen.
    »Ich möchte Euer Eminenz zur Ergreifung des hussitischen Spions gratulieren. Das ist ein Erfolg. Eine Sache von großem Nutzen
pro publico bono.«
    Bischof Konrad bespritzte sein Gesicht mit Wasser, legte einen Finger an sein Nasenloch und schnaubte sich über die Schüssel
     gebeugt aus. Aus den Händen eines Bedienten nahm er ein Handtuch entgegen.
    »Sie sagen«, er trocknete sich ab und schnäuzte sich noch einmal, diesmal ins Handtuch, »du seist in Rom gewesen?«
    »Wenn sie es sagen«, Gregor Hejncze atmete den Laugenduft ein, »dann bin ich wohl auch dort gewesen.«
    »Wie geht es dem Heiligen Vater, Papst Martin V.? Sind an ihm keine Zeichen zu sehen? Denn, siehst du, es ist geweissagt worden,
     dass ihm nicht mehr viel Lebenszeit bleibt.«
    »Wer weissagt denn so etwas?«
    »Wahrsager. Nachdem du Rom verlassen hast, hast du dich, scheint’s, in die Schweiz begeben? Wie ist es denn dort so?«
    »Schön ist es dort. Sie haben guten Käse.«
    »Und Fußvolk.« Mit

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