Lux perpetua
sie uns verhökern?
Geben sie nicht unsere Seelen der Verdammung preis?«
»Brüder! Wir müssen uns von den vom Teufel gesandten Unwürdigen und Lumpen trennen, wir dürfen mit ihnen nichts gemein und
keinen Anteil an den Scheußlichkeiten haben, die sie vollbringen. Denn in der ganzen Schöpfung gibt es nur Gut und Böse, Gläubige
und Ungläubige, Dunkelheit und Licht, gibt es nur diejenigen, die mit Gott sind, und diejenigen, die es gegen Gott mit Belial
halten!«
»Wir sollten das Schicksal nicht herausfordern«, sagte die mit dem Männerwams bekleidete, nach Rosmarin duftende Eigentümerin
der gelbgrünen Augen. »Veränderungen hin, Veränderungen her, vom Idealzustand ist diese Welt noch weit entfernt. Es gibt Dunkel,
es gibt Licht, und es gibt solche, die anschwärzen. Jeden Moment werden die Schergen aus dem Rathaus und die Bluthunde der
Inquisition hier sein. Lass uns von hier fortgehen.«
»Wohin?«
»Lass uns gehen, sage ich.«
»Nein. Zuerst wirst du mir erklären
. . .
«
»Willst du Jutta zurückhaben oder nicht?«
»Erzittert vor dem Zorn des Herrn«, hörten sie noch im Weggehen, »ihr, die ihr an die Lüge glaubt und eure Ohren vor der Wahrheit
verschlossen habt. Denen die Ungesetzlichkeit gefällt und die der Wollust folgen. Ihr, über die das Urteil derVerdammnis schon längst gefällt ist! Zittert und bereut! Denn es naht der Tag des Zorns, der Unglückstag, der Tag der Tränen.
Der Tag des Jüngsten Gerichts naht heran!«
»Dies irae, dies illa« ,
murmelte die geheimnisvolle Grünäugige und umfasste seinen Arm fester.
»Et lux perpetua.«
»Wohin gehen wir?«
»Zur Synagoge. Aber hab keine Angst, ich will dich nicht bekehren. Bleib du nur ein Goi bis zum Jüngsten Tag. Aber in der
Synagoge gibt es keine Spione. Die gehen nicht in jüdische Gotteshäuser. Sie haben Angst vor jüdischem Zauberwerk.«
Die Synagoge, die sich im nordwestlichen Teil der Stadt befand, unweit des Neuen Tors, betraten sie aber nicht.
Sie unterhielten sich, während sie auf einem Mäuerchen saßen, verborgen hinter den Stufen, die zum Ezrat Nashim, also zum
Frauenbereich, führten. Reynevan fühlte sich unter den eindringlichen Blicken jener seltsamen Frau, Blicken aus Augen, grün
wie die einer Katze und genauso rätselhaft, hilflos und nervös. Er bezwang sich. Er hatte genug von Ungewissheiten. Genug
von Geheimnissen. Und genug davon, benutzt zu werden.
»Zuerst das Wichtigste«, unterbrach er sie, kaum dass sie zu sprechen begonnen hatte. »Damit fangen wir an. Wer bist du? Warum
hast du mir in Breslau beigestanden? Warum hast du eingegriffen, als sie mich verhaftet haben? Warum bist du jetzt hier, um
mir, wie du behauptest, dabei zu helfen, Jutta zu befreien? In wessen Auftrag tust du das? Denn es ist doch wohl klar, dass
du dies nicht aus eigener Veranlassung tust, nur deshalb, weil dir menschliches Unrecht nahegeht
. . .
«
»Warum sollte das denn eigentlich so klar sein?« Sie hielt den Kopf etwas schief. »Sehe ich nicht so aus wie jemand, dem menschliches
Unrecht nahegeht? Zuerst das Wichtigste, sagst du. Einverstanden, wenn wir herausbekommen, was das Wichtigste ist. Was das
gegenseitige Vorstellen betrifft, bin ich einverstanden. Nach einigem Nachdenken. Denn du hast michschon einmal danach gefragt, in Ratibor, im Frühling. Du hast ein Recht darauf, meinen Namen zu erfahren. Und nicht nur das.«
Sie schob sich die Kapuze vom Kopf und schüttelte mit einer heftigen Bewegung ihr Haar, das schwarz und glänzend war wie Rabenfedern.
»Ich heiße Rixa Cartaphila de Fonseca. Du kannst mich Rixa nennen. Was starrst du mich so an?«
»Ich starre doch gar nicht.«
»Doch, du starrst. Suchst du meinen Judenstern? Fiele dir das leichter, wenn ich Rachel hieße? Oder Sara?«
»Hör bitte auf.« Er fasste sich wieder. »Du hast dich vorgestellt, ich danke dir, ich verneige mich, fühle mich geehrt, das
Vergnügen ist ganz meinerseits.«
»Bist du ganz sicher, dass es ein Vergnügen ist?«
»Ganz sicher. Diese Frage werden wir nicht mehr stellen. Kommen wir zu den anderen.«
»Ich darf dir nicht sagen, in wessen Auftrag ich arbeite. Ich darf es nicht, und Schluss damit, keine weiteren Fragen. Dir
muss genügen, was du weißt.«
»Das genügt mir nicht. Wenn du ein persönliches Geheimnis hast, ist das deine Sache. Du selbst kannst von mir aus ein Geheimnis
bleiben. Aber wenn es mich betrifft, nicht mehr. Du willst etwas von mir. Ich will wissen
. .
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