Lux perpetua
gewinnen.«
»Ja, lass uns Land gewinnen«, stimmte Horn ihm zu. »Ganz viel Land. Leb wohl, Stadt Odrau. Und was machen wir nun, Kamerad?
Kommst du mit nach Eulenberg?«
»Nein. Ich kehre nach Schlesien zurück. Hast du schon vergessen? Guinevere ist in Not.«
»Dann rette Guinevere, Lancelot. Der böse Entführer Meleagant sollte seine gerechte Strafe erhalten. Aufs Pferd.«
»Aufs Pferd, Horn.«
Sie fielen in Galopp.
Zwölftes Kapitel
in dem die nach Rosmarin duftende Frau Reynevan Zusammenarbeit und Hilfe anbietet, worauf dann die Dinge plötzlich einen schlechten
Verlauf nehmen. Die Situation rettet eine Legendengestalt, die wie ein deus ex machina plötzlich aus der Wand hervorkommt.
Nicht weit weg von der Schule, gegenüber der Johanniterkomturei, auf der Mauer, stand, um die versammelte Menge zu überragen,
ein kleiner Mann in einem schwarzen Mantel, mit spärlichen, bis zu den Schultern reichenden Haaren.
»Brüder!«, schrie er, lebhaft gestikulierend, »der Antichrist ist erschienen! Inmitten von Zeichen und falschen Wundern! Der
uns verkündete Mörder von Heiligen, der wie ein Tyrann in der Stadt der sieben Hügel sitzt! In Rom, auf Petri Stuhl sich prostituierend,
herrscht der Statthalter des Satans und der Anführer der satanischen Diener! Wahrlich, ich sage euch, der römische Papst ist
der Antichrist! Eine aus der Hölle entsandte Bestie!«
Die Menge der Zuhörer wurde größer. Die Gesichter der Zuhörer waren finster, finster war auch ihr Schweigen, böse und bedrückend,
ein wahrhaftes Grabesschweigen. Das war nicht ganz alltäglich, denn zumeist wurden Auftritte dieser Art, die sich in letzter
Zeit immer mehr häuften, von Gelächter, Bravorufen und zustimmenden Zurufen, vermischt mit Pfiffen und Flüchen, begleitet.
»Was sind denn heutzutage«, rief der Langhaarige erregt, »die römische Kirche und der gesamte Klerus? Eine Verschwörung von
Apostaten und Betrügern, die sich allein von ihrerHabgier leiten lassen. Eine Bande von Übeltätern, die sich in Schmutz und Wollust wälzen, satt an Reichtum, Macht und Ehren,
nur zum Schein das Mäntelchen der Heiligkeit und die Maske der Religion tragend, die den heiligen Namen Gottes als Einbruchswerkzeug
und als Fassade für ihre Unzucht verwenden. Eine in Purpur gehüllte babylonische Hure, trunken vom Blute der Märtyrer!«
»Sieh mal an, sieh mal an«, sagte eine Altstimme, weich wie Atlasseide, hinter Reynevan. »Eine Bande von Übeltätern. Eine
trunkene Hure. Wer hätte gedacht, dass es einmal so weit kommt. Wahrlich, die Zeit großer Veränderungen ist heraufgezogen.«
Er drehte sich um. Und erkannte sie sofort wieder. Nicht nur an der Stimme. Der Zauber, mit dem sie sich damals in Breslau
umgeben hatte, hatte nicht verborgen, was er jetzt sehen konnte. Gelbgrüne Augen mit einem frechen Blick. Augen, an die er
sich erinnerte.
»Noch vor einem Jahr«, sie schob sich näher an ihn heran und hängte sich ohne Weiteres bei ihm ein, »noch vor einem Jahr hätte
man den Pöbel längst auseinandergetrieben und den Schreihals eingesperrt. Aber hier, bitte sehr, er redet und redet, und das
an einer belebten Ecke der Stadt. Sollte etwas zu Ende gehen? Und vielleicht etwas Neues beginnen?«
»Wer bist du?«
»Nicht jetzt.«
Er spürte die Wärme, die sie durch den Mantel und das wattierte Männerwams verströmte, an seiner Seite. An diese Wärme erinnerte
er sich ebenfalls. Damals in Breslau, als er ihren Körper nach Anzeichen der Seuche untersucht hatte. Ihr Haar wurde von einer
Kapuze bedeckt, dennoch verströmte es einen kaum wahrnehmbaren Duft von Rosmarin, der ihn an Ratibor erinnerte.
»Wahrlich, ich sage euch«, immer rasender und immer lauter erhob sich die Stimme des Mannes im schwarzen Mantel, »die römische
Kirche ist nicht die Kirche Christi, sondern die Diözesedes Teufels, eine Räuberhöhle! Das geheiligte Recht, das Geheimnis der Göttlichkeit, das fleischgewordene Wort trägt man dort
zu Markte! Die untrennbare Dreieinigkeit wird in Stücke gehauen. Geschickte Beutelschneider, falsche Propheten, betrügerische
Kaplane, lügnerische Lehrer, verräterische Priester sind sie! Man hat es uns geweissagt! Uns wurde prophezeit: Durch sie wird
der Weg zur Wahrheit mit Lästerungen befleckt; um ihre Habgier zu stillen, verkaufen sie euch mit Worten. Schaut auf die römische
Kurie, ihre Urkunden und Verfügungen, ihre verlogenen Messen und den Ablass. Ist es etwa nicht wahr, dass
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