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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ihm der Scheiterhaufen sicher.«
    »Ha.«
    »Was, ha? Hast du Angst?«
    »Nein.«
    »Du bist ein mutiger Junge! Aber vielleicht ist das gar kein Mut, sondern dein mangelndes Gefahrenbewusstsein? Du kennst mich
     immer noch nicht. Du weißt nicht, mit wem du dein Bett teilst. Ich bin eine schreckliche Frau. Ich habe das im Blut.«
    »Was denn?«
    »Die Juden sind schuld am Tod des Erlösers, richtig? Es ist nur gerecht und natürlich, dass diejenigen, welche die Schuld
     am Tod des Erlösers haben, jetzt und bis in alle Ewigkeit den Nachweis ihrer Nichtswürdigkeit tragen.«
    »Was heißt das konkret?«
    »In meinen Adern, mein lieber Junge, fließt das Blut von vielen Generationen des auserwählten Volkes. Mein VorfahreLevi hat, als Jesus nach Golgatha geführt wurde, ihn angespuckt; seither räuspern sich alle Levis ständig, ohne je den Schleim
     loszuwerden. Die Juden von dem mit uns verwandten Stamme Gad haben Jesus die Dornenkrone aufgesetzt, deshalb erscheinen jedes
     Jahr auf ihren Köpfen stinkende Blutgeschwüre, die man nur heilen kann, wenn man Christenblut draufschmiert. Und dann das
     Entsetzlichste: Der Stamm Naftali hat die Nägel für die Kreuzigung hergestellt, und auf den Rat einer Jüdin mit Namen Ventria
     hin, die zweifellos eine Vorfahrin von mir war, hat man die Spitzen abgeflacht, damit Jesus noch mehr leiden musste. Für diese
     Niederträchtigkeit kriechen den Frauen aus dem Stamme Naftali nach ihrem dreißigsten Lebensjahr lebendige Würmer aus dem Mund,
     wenn sie schlafen. Aber hab keine Angst, mein Junge, du kannst ruhig schlafen. Ich bin erst zwanzig.«
    »Ich sollte Angst haben?« Reynevan ließ sich mit ernster Miene auf das Spiel ein. »Ich? Ich bin noch schrecklicher. Ich bin
     ein Schwarzmagier, ich kenne die
artes prohibitae.
Ich habe das im Blut, ich bin durch und durch von grauenerregender schwarzer Magie durchdrungen. Wenn ich pisse, erscheint
     über dem Urinstrahl ein Regenbogen.«
    »Ha! Das musst du mir zeigen.«
    »Darüber hinaus«, erklärte er stolz, »bin ich ein Hussit. An Feiertagen laufe ich nackt herum, und ich kann kaum den Tag erwarten,
     an dem alle Frauen Gemeingut sind. Ich bin auch ein Ketzer, ich warne dich. Weißt du, liebes Mädchen, woher diese Bezeichnung
     stammt? Sie kommt, wie Alanus ab Insulis lehrt, von dem Wort Katze. Auf unseren geheimen ketzerischen Zusammenkünften zeigt
     sich Satan uns in Gestalt einer schwarzen Katze, der wir Häretiker und Hussiten einer nach dem anderen den Schwanz heben und
     sie auf ihren Katzenarsch küssen müssen.«
    »Es ist gut möglich«, fügte Rixa gleichfalls scheinbar ernsthaft hinzu, »dass das, was ihr da küsst, ein Judenarsch ist. Der
     Jude nämlich, wie Petrus von Blois lehrt, nimmt auf dem Wegein die Hölle, zu seinem Vater, dem Teufel, häufig abscheuliche Gestalt an.«
    »Ja. Du hast recht. Das ist gut möglich. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Reinmar. Schöne Träume.«
     
    Am nächsten Morgen kamen sie nach Jauer. Rixa kannte den Weg. Sie führte ihn, ohne zu zögern, man sah, dass sie sich ganz
     wie zu Hause fühlte.
    »Du fühlst dich ganz wie Hause.«
    »Ich bin hier zu Hause«, bestätigte sie ihm. »Das ist die Bachgasse. Hier wohnt die Person, die wir aufsuchen wollen.«
    »Besagte gut informierte Person«, erriet Reynevan. »Wer ist es? Was macht sie?«
    »Maisl Nachman ben Gamaliel. Er verleiht Geld gegen Zinsen.«
    »Ein Wucherer?«
    »Nein, ein Finanzier.«
    Das Haus in der Bachgasse war groß, aber einfach, ohne schmückendes Beiwerk, es erinnerte daher eher an eine kleine Festung.
     Den Zutritt verwehrte eine Mauer, ein breiter Laubengang barg eine eisenbeschlagene Tür mit einem Türklopfer aus Messing und
     einem kleinen Fensterchen. Rixa ergriff den Messingring und klopfte energisch. Nach einer Weile öffnete sich das Fensterchen.
    »Nu?«, kam es von drinnen.
    »Schalom«, grüßte Rixa. »Wanderer in Geschäften zum ehrenwerten Maisl Nachman ben Gamaliel.«
    »Der ist nicht da.«
    »Ich bin Rixa Cartaphila de Fonseca.« In der Stimme des Mädchens schwang plötzlich ein bedrohlicher Unterton mit. »Sag das
     dem Rabbiner, Diener. Wenn er nicht da ist, soll er mir das selbst sagen.«
    Sie musste erneut einige Zeit warten.
    »Nu?«
    »Rabbi Maisl Nachman ben Gamaliel?«
    »Kenne ich nicht. Und außerdem ist er nicht da.«
    »Wir werden nicht viel von deiner Zeit in Anspruch nehmen, Rabbi. Bitte, lass uns herein. Wir benötigen nur eine Information.«
    »Nu? Und was braucht ihr sonst

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