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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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unterbrach ihn die Neuphra. »Und dann? Wenn er ein Refaim ist, wirst du nichts aus ihm herausbekommen.«
    »Ich werde es herausbekommen. Er ist in einem materiellen Körper gefangen und damit allen Fehlern und Unzulänglichkeiten dieses
     Körpers ausgesetzt. Vor allem empfindet er Schmerz, dem man diesen Körper aussetzen kann. Ich, Kundrie, werde diesen Körper
     dem Schmerz aussetzen. Ich werde ihn so dem Schmerz aussetzen, dass mir der Riese alles gesteht.«
    »Unter anderem auch, wie du in das Reich der Sterne gelangen kannst?«
    »Oder zumindest mit ihm in Kontakt kommen kann«, bekräftigte er. Gleich darauf sprang er von seinem Dantesessel auf und durchmaß
     mit ein paar Schritten das Zimmer, von dem an den Schrank gelehnten Sarg bis zu dem vollständigen Skelett eines, Gott weiß
     wozu dienenden, menschenfressenden Schweins an der entferntesten Seite des Zimmers.
    »Was hat mir denn diese Welt schon zu bieten?« Er hob die Stimme. »Was kann sie mir denn geben? Diese primitive Welt, in der
     alles schon aufgeteilt, zusammengeraubt und zusammengekratzt worden ist, in der es
nulle terre sans seigneur
gibt? Wer kann ich denn hier sein? Welche Herrschaft mir erobern, welche Macht? Ein Domkanonikus? Starost oder Verwalter von
     Breslau oder, womit mich der Bischof zu ködern versucht, Statthalter von Schlesien? Selbst wenn ich Bischof werden würde,
     Kardinal und schließlich Papst, was ist denn das heutzutage für eine Macht? Selbst wenn es gelänge, die Hussiten zu vernichten,
     die Lehre bleibt, man kann Gedanken nicht vernichten. Nach den Hussiten werden andere kommen, das poröse Gebäude Roms wird
     nie mehr wieder die Struktur eines unangreifbaren Monolithen haben. Könige und Fürsten werden stürzen wie Puppen, denn was
     sind das für Herrscher, die man mit einer Prise Gift oder mit der zehn Zoll langen Klinge eines Dolches beseitigen kann? Und
     die in die Macht des Geldes verliebten Fugger? Sie werden irgendwann merken, dass ihr Geld weniger wert ist als Stroh. Magier
     und Zauberer? Die sind sterblich, nur zu sterblich. Die Longaevi? Sie leben nur dem Namen nach ewig, sie werden mitsamt ihrer
     magischen Macht vergehen
. . .
«
    Grollend stieg in der Ferne Donner hernieder und pflichtete seiner Rede bei. Kundrie schwieg. Der Mauerläufer atmete tief
     ein.
    »Marco Polo«, fuhr er fort, »ist bis nach Cathay gelangt. Die Portugiesen sind zu den
Insulas Canarias
gesegelt, nach Madeira, zu den Azoren, sie schicken sich an, den Ozean zu überqueren. Sie glauben, dass sie dort hinter dem
     Ozean, in dernoch unentdeckten Welt, Reichtümer und wirkliche Macht finden. Sie glauben an das Land des Johannes der Offenbarung, an die
     Länder Mogal, Ophir und Taprobane und wollen dorthin gelangen; um das zu erreichen, schrecken sie vor nichts zurück. Ich werde
     ebenfalls vor nichts zurückschrecken.«
    Die Neuphra sagte auch weiterhin kein Wort, sie sträubte und glättete nur wieder und wieder ihre Rückenstacheln.
    »Weißt du, wer der Letzte war, der so etwas gesagt hat?«, fragte sie schließlich. »Interessanterweise im selben Zusammenhang?
     Der verrückte Poet und Zauberer Abdallah Zahrad-Dihn, der Autor des Buches ›Kitāb Al-Azif‹ – dieses Buch ist eine lautmalerische
     Aufzeichnung von Geräuschen, wie sie Nachtfalter und Gespenster in der Nacht machen. In späteren Übersetzungen hat man den
     Namen des Autors umgeformt zu Abdul Alhazred und den Titel in ›Necronomicon‹ geändert. Unter diesem Titel ist es bekannt geworden.«
    »Ich weiß.«
    »Du weißt also, dass Abdul Alhazred so sehr wünschte,
ad sidera
zu gelangen, dass er vor nichts zurückschreckte. Er war in der von Gespenstern heimgesuchten Wüste Roba El Khaliyeh, er war
     in Irem, er suchte den Kadath. Er ist im Jahre 738 eines entsetzlichen Todes gestorben, als ihn in Damaskus am helllichten
     Tage vor den Augen vieler Zeugen ein schrecklicher Dämon zerfleischte und auffraß. Mindert das deinen Eifer nicht ein wenig?«
    »Es mindert ihn nicht.«
    »In diesem Fall wünsche ich dir Glück.« Die Neuphra verdrehte die Augen. »Sehr, sehr viel Glück.«
    »Ich gehe.« Der Mauerläufer stand auf. »Morgen mache ich mich auf den Weg. Ach, Kundrie, findet sich in deinen Vorräten vielleicht
     ein wenig Perferro? Ich hätte gern welches zur Hand.«
    »Eine gute Idee«, das Elementarwesen entblößte, als es grinste, die gelben Hauer, »so etwas bei der Hand zu haben. Flöße es
     deinem Mädchen ein, dieser Douce von Pack.

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