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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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war heiß, feucht
     und schwül, ein Gewitter kündigte sich an. Kundrie leerte mit einem gewaltigen Schluck den Kelch mit dem
aurum potabile
und leckte sich die Lippen.
    »Du gehst also nach Jauer und ins Lausitzer Grenzland«, sagte sie und blinkerte mit ihren bernsteingelben Augen. »Weil dich
     die Nachricht vom Auftauchen Reinmar von Bielaus von dort erreicht hat. Obwohl sie nicht bestätigt wurde und ungewiss ist,
     ob sie überhaupt stimmt, schmeißt du alles hin und stürmst blindlings los. Und von mir verlangst du Zauberrituale und Beschwörungen,
     um ein siderisches Wesen ausfindig zu machen. Obwohl ich dir schon hundertmal gesagt habe, dass das nicht möglich ist.«
    »Es gibt nichts, was unmöglich ist«, antwortete der Mauerläufer. »Das war das Erste, was sie uns in Aguilar eingetrichtert
     haben.«
    Die Neuphra seufzte. Dann gähnte sie, eine stattliche Reihe von Hauern dabei entblößend.
    »Nun ja«, sagte sie, »Reinmar von Bielau wird man beseitigen müssen, das sehe ich ein, weil er sonst zur Landplage wird, weil
     er andauernd Rache für seinen Bruder fordert. Ich schließe mich deiner Meinung an, ihn zu ergreifen und ihm einlangsames Sterben zu ermöglichen, indem man ihn vor den Augen jener Apolda, die er immer noch sucht, zu Tode quält. Die Idee,
     sich auf diese Weise zu revanchieren, ist richtig und findet meinen Beifall. Aber sein Kamerad, dieser Riese
. . .
Dieser angebliche Fremde aus einer Astralwelt
. . .
Den rate ich dir, sein zu lassen. Ich glaube, dass er ein Beschützer ist, einer der
Refaim
. Sich mit ihnen anzulegen, ist nicht zu empfehlen. Mir schwant nichts Gutes, wenn ich an deine Jagd auf ihn denke. Du gehst
     nicht rational vor. Dein Interesse an jenem Riesen wirkt auf mich zusehends wie
. . .
«
    »Wie was?«
    »Wie eine Besessenheit«, beendete sie kühl ihren Satz. »In reinster, klinischer Form. Du bist das Opfer einer Manie, mein
     Söhnchen. Das macht mir Sorgen. Umso mehr, als das in letzter Zeit nicht deine einzige Manie ist.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Nicht deine einzige Manie. Ich sehe und höre. Und vor allem erspüre ich es. Mit meinem Geruchssinn.«
    »Was?«
    »Spiel hier nicht den Dummen! Ich halte mich in der Stadt auf, ich höre, wie geschwätzt wird. Über dich und Fräulein von Pack.
     Und ich habe eine gute Nase. Seit zwei Monaten kommst du hierher und riechst nach ihrem Fötzchen.«
    »Pass auf!«, zischte er. »Geh nicht zu weit.«
    »Ich erkenne dich nicht wieder. Frauen hattest du reihenweise. Du, Birkhart von Grellenort, Traum und Gegenstand der Verehrung
     von mindestens der Hälfte der andalusischen Hexen. Aber bisher hast du dich noch an kein Mädchen gebunden, hast dir noch von
     keiner den Kopf verdrehen lassen. Hüte dich, du hast Feinde. Da sie dir bisher mit dem Eisen nicht beikommen konnten, können
     sie unversehens zu einer anderen Waffe greifen. Ist dir noch nie der Verdacht gekommen, dass man dir diese Pack untergeschoben
     haben könnte? Vielleicht wollen sie dich auf biblische Weise durch die Hand einer Frau bestrafen? Das Mädchen soll dich erledigen,
     wie Dalila denSamson erledigt hat. Oder wie Judith den Nebukadnezar
. . .
Oder war’s Holofernes? Ich hab’s vergessen. Eure Bibel ist eine so verdammt komplizierte Lektüre. Zu viele Helden, zu viele
     Ungereimtheiten und ausgedachtes Zeug. Da mag ich schon eher Chrétien de Troyes und andere
romanceros.«
    Die Augen des Mauerläufers blitzten auf. Und erloschen sofort wieder.
    »Jedes literarische Werk«, erwiderte er ruhig, »also auch die Bibel, birgt in einem Meer von Gedanken auch die Perle der Wahrheit.
     Und damit kommen wir wieder zu unserem Riesen zurück. Wenn ich ihn zu fassen kriege, werde ich dieses Wissen aus ihm herauspressen;
     ich werde erkennen, was die Wahrheit ist und wo sie zu finden ist. Denn er ist nicht angeblich, sondern er ist wirklich von
     dort gekommen, von der siderischen Ebene, von einem Ort, den wir nicht kennen und von dem wir im Grunde nichts wissen. Die
     einen, wie du weißt, halten diesen Ort für das Reich des höchsten Wesens, einfacher gesagt, Gottes. Die Polytheisten behaupten,
     dies sei das Reich vieler Götter, Halbgötter, Gottheiten und Dämonen. Wie es wirklich beschaffen ist, weiß niemand, denn wenn
     auch Besucher von dort zu uns gekommen sind, so ist doch noch nie jemand dorthin gelangt. Niemand, auch deine Stammesverwandten
     von Longaevi und die fast allmächtigen Nephandi nicht
. . .
«
    »Du fasst also den Riesen«,

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