Lux perpetua
bitte dich nur um zwei Dinge. Stell keine Fragen.«
»Und was noch?«
»Gib keine Antwort.«
Die Gasse war, wie sich herausstellte, die Gasse der Magier. Die Kramläden und Stände, die hier aufgebaut waren, boten hauptsächlich
Kräuter, Elixiere, Periapte, Amulette, Talismane, Glöckchen aus Loreto, Glaskugeln, Kristalle, Perlenschnüre, Steine, Strohpüppchen,
Muscheln, Geweihe und andere seltsame Dinge feil. Reynevan hatte schon von diesem Gässchen gehört, das von den Ratsherren
und von der Geistlichkeit von Liegnitz geduldet wurde. Für diese Toleranz gab es zwei Gründe: die hohen Steuerabgaben an die
Stadt und die Tatsache, dass die Waren, die im Gässchen feilgeboten wurden, mit echter Magie nichts, aber auch gar nichts
zu tun hatten. Ein Blick genügte, und Reynevan konnte sich dessen absolut sicher sein: Unter den Waren auf den Tischen waren
die meisten der reine Plunder, Krimskrams und nutzloses Zeug.
Rixa blieb vor einem Tisch stehen, hinter dem ein schönes, schwarzhaariges Mädchen stand und mit einer kleinen Bürsteden Staub von den Waren entfernte. Die Ware bestand hauptsächlich aus getrockneten Fröschen.
»Wir wollen zu Meister Zbrosław.« Die Schwarzhaarige blickte Reynevan an, klimperte mit ihren langen Wimpern und verschwand
nach hinten. Reynevan betrachtete den Verkaufstisch. Er staunte, als er plötzlich inmitten der zahllosen getrockneten Kriechtiere
eine gehörnte Echse mit spiralförmig gedrehtem Schwanz erblickte. Eine solche hatte er schon auf den illustrierten Seiten
des ›Grand Grimoire‹ gesehen.
»Der Meister lässt bitten.«
Meister Zbrosław überraschte Reynevan ein wenig. Er hatte fest geglaubt, dass der Verkäufer getrockneter Frösche, der immerhin
mit Rixa in Kontakt stand, seinen slawischen Namen nur zur Tarnung trug. Aber im Inneren des Standes, in dem es kräftig nach
Ingwer, Nelken und Kampfer roch, begrüßte sie ein Mann, der von Kopf bis Fuß Slawe war. Breitschultrig, mit hellem Haar, hellem
Bart und hellen Augen – genau wie der legendäre König Krak.
»Seid gegrüßt. Womit kann ich dienen?«
»Ich bin Rixa Cartaphila de Fonseca. Mich schickt
. . .
der Wunderrabbi Chalafta.«
Meister Zbrosław schwieg lange, nur seine Finger schlangen sich ineinander. Schließlich hob er den Blick.
»Der von Ohlau?«
»Nein. Der von Oels.«
Sie lächelten einander an, froh über den geglückten Austausch von Losungen und Parolen.
»Es heißt, du seist Experte für Traumdeutungen, Meister Zbrosław.« Rixa wollte keine Zeit verlieren. »Du sollst Träume deuten
können.«
»Gott kommt durch unsere Träume zu uns. Die Träume geben uns Hinweise, sie stärken uns, sie heilen und gesunden die Seele.«
»Wenn wir ihre Bedeutung erkennen. Der kluge Rabbi Hisdapflegte zu sagen, ein Traum, der nicht gedeutet wird, ist wie ein Brief, den man bekommen, aber nicht gelesen hat. Und ich
hatte einen Traum.«
»Ich höre.«
»In meinem Traum hat der Stadt Sagan eine große Gefahr gedroht.«
»Interessant«, Meister Zbrosław heftete seine slawischen Augen auf Rixa, »dass es gerade Sagan war. Es gibt doch auch noch
andere Städte. Die von ihrer Lage her der Gefahr
. . .
bedeutend näher sind. Näher an Zittau, das sich, nachdem es die Nachricht von einem bevorstehenden Angriff erhielt, angeblich
fieberhaft zur Verteidigung rüstet.«
»Jene Städte mögen sich gefälligst um sich selbst kümmern.« Rixa senkte den Blick nicht. »Sie sind in meinem Traum nicht vorgekommen.
In meinem Traum hatte Herzog Johann von Sagan eine wundersame Vision. Der Engel des Herrn stieg vom Himmel herab und gab ihm
ein, wie er sein Land retten könnte. Suche, Herzog, sagte der Engel, deine Rettung beim frommen Königreich Polen, beim von
der Gottesmutter geliebten polnischen Volk. Suche beim frommen polnischen König Władysław Rettung. Statt es mit dem Luxemburger
zu halten, sagte der Engel
. . .
«
»Das hat er gesagt? Mit diesen Worten?«
»Mit genau diesen Worten«, bekräftigte sie mit einer Stimme, die so eisig war wie die heilige Kunigunde im Bett. »Statt es
mit dem Luxemburger zu halten, wende dich Polen zu, Herzog. Der Luxemburger ist weit, aber Polen liegt gleich hinter dem Feldrain.
Es herrschen Notzeiten, und Polen wird seine Freunde in der Not nicht verlassen
. . .
«
»Da hast du’s«, seufzte Meister Zbrosław, »ein polenliebender Engel. Bei derartigen Träumen bedeutet das großen Kummer
. . .
Ja nun, der Traum, obschon er von
Weitere Kostenlose Bücher