Lux perpetua
meinen Bruder gekannt. Du kennst mich, gerade eben hast
du dich noch für mich verbürgt. Du weißt, dass ich in Schlesien umherreite und mein Leben riskiere, weil meine Liebste mich
braucht. Ich muss sie finden und sie befreien. Sie wird gefangen gehalten, und jeder Tag der Gefangenschaft vergrößert ihre
Qual
. . .
«
»Reinmar«, der Goliarde leckte sich die Lippen und senkte den Blick, »die Böhmen trauen dir nicht, es sind Gerüchte über dich
im Umlauf
. . .
Wenn herauskommt, dass ich dir was gesagt habe
. . .
«
»In die Lausitz oder nach Schlesien?« Rixa wurde ungeduldig. »Wohin führt der Kriegszug? Denn dass der jeden Moment losbrechen
kann, darauf sind wir selbst schon gekommen.«
»Ich weiß es nicht
. . .
Aber wenn ich so bedenke
. . .
Vielleicht die Lausitz?«
»Na bitte«, lächelte Rixa, »wie einfach das ging. Das Schwierigste ist immer der Anfang. Und jetzt Einzelheiten, bitte.«
»Was wollt ihr von mir?« Tybald Raabe tat so, als wäre er wütend. »Bin ich vielleicht ein Hetman, oder was? Ich bin ein schlichter
Agitator, mit Strategie habe ich nichts zu schaffen
. . .
Aber es ist doch jedem klar; wenn er die Landkarte betrachtet, kann er sich denken
. . .
Na, ihr könnt es euch wohl denken. Wohin wird Tábor ziehen, wenn nicht ins Tal der Lausitzer Neiße?«
»Zittau und Görlitz?« Reynevan fiel die Landkarte wieder ein, die er bei Prokop in Odrau gesehen hatte.
»Das würde ich nicht ausschließen
. . .
« Tybald räusperte sich. »Ich würde auch den Übergang ans rechte Ufer der Queis nicht ausschließen. Lauban, Bunzlau
. . .
«
»Sagan?«, fragte Rixa mit veränderter Stimme.
»Möglich.«
»Wann? Ein Datum, Tybald.«
»Juni. So in etwa.«
»Wie in etwa?«
»Die einen sagen zu Johanni. Die anderen sagen am Veitstag. Ich glaube eher den anderen. Aber, wer weiß das schon
. . .
«
»Tausend Dank.« Rixa bedachte den Goliarden mit einem warmen Blick. »Du hast uns sehr geholfen, ich bin dir unendlich dankbar.
Ich würde dir einen Kuss geben, aber ich geniere mich, ich bin so verdammt genant. Und wenn du schon losziehen musst, dann
leb wohl.«
»Auch euch Lebewohl. Reinmar?«
»Ja?«
»Ich wünsch’ dir Erfolg. Von ganzem Herzen.«
Die fünf Tage vergingen wie ein Peitschenknall. Am zwölften Juni, einem Sonntag, rief Rabbi Nachman ben Gamaliel Reynevan
und Rixa zu sich.
»Cousin Moishe«, begann er ohne Einleitung, »hat das Geld gern genommen, er hat sich gefreut und gejubelt, als hätte er die
Bundeslade erworben. Daher weiß ich jetzt, wer die Romanze von Wirida Hornig beendet, ihren Galan, den Apotheker, denunziert
und sie selbst ins Kloster verfrachtet hat, alles dank seiner Beziehungen zur Inquisition. Derselbe, der Wiridas glücklicher
Ehemann wurde. Otto Arnoldus, ein recht bekannter Mann, aber nicht unbedingt wegen seiner Tugenden. Früher Ratsherr, heute
Bürgermeister der Stadt Bunzlau.«
»Obwohl der Grund eher ein persönlicher denn ein politischer war, so ist doch deine Angelegenheit der Affäre um Wirida Hornig
recht ähnlich, Reinmar. An deiner Stelle würde ich mich nach Bunzlau begeben und ein bisschen reden, wenn nicht mit Bürgermeister
Arnoldus selbst, so doch mit seiner Ehefrau. Sie wird wohl noch wissen, in welchem Kloster sie damals verschwunden ist. Und
die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Inquisition immer noch dasselbe benutzt.«
»Tausend Dank. Wir reisen so schnell wie möglich ab.«
»Ja, ja«, sagte Maisl Nachman schnell und senkte die Stimme. »Ich rate zur Eile.«
»Wissen wir«, brummte Rixa. »Der Veitstag steht vor der Tür. Wir ziehen morgen in aller Frühe los. Bleib gesund, Rabbi Maisl.«
»Lebt wohl.« Der Jude nickte mit fliegendem Bart. »Ich danke euch für alles. Und du, Mädchen, tritt näher.«
Rixa senkte den Kopf. Der Rabbi legte seine Hand auf ihr rabenschwarzes Haar.
»Jewarechecha hashem wejishmerecha« ,
sagte er. » HaShem segne und behüte dich. HaShem lasse sein Angesicht auf dir ruhen und gebe dir Frieden. Leb wohl, Rixa Fonseco.
Leb auch du wohl, Reinmar von Bielau.«
Dreizehntes Kapitel
in dem von Träumen und ihrer Deutung die Rede ist und Leute, von denen man es nicht erwartet hätte, plötzlich Bündnisse miteinander
eingehen.
In Breslau setzte allmählich die Dämmerung ein. Es begann die blaue Stunde, die man auch die Stunde
inter canem et lupum
nannte, zwischen Hund und Wolf, wo es langsam dunkelt, die Lichter aber noch nicht angezündet werden. Es
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