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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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marschierte unterdessen auf
     Naumburg und Jena zu, unterwegs jedes Dorf und jedes
oppidum
systematisch verbrennend. Der Horizont im Westen brach auf in windzerrissenen Federbüschen aus Rauchschwaden.
    Reynevan trieb alle zur Eile an, anfangs hatte er sich sogar dagegen gesträubt, in der Nacht haltzumachen, und wollte sogar
     in der Dunkelheit weiterreiten; um ihn aufzuhalten, bedurfte es wahrhaft überzeugender Argumente: Die Pferde brauchten Ruhe
     und Futter, und außerdem befanden sie sich in unbekanntem Feindesland, sie konnten sich im Dunkeln und im Schneegestöber verirren,
     konnten vom Weg abkommen, was eine noch weitaus schlimmere Verspätung nach sich ziehen konnte als die paar Stunden Nachtruhe.
     Daher hielten sie bei einer leeren Scheune, die am Rande einer Ortschaft lag. Die gleichfalls verlassen aussah.
    Der Horizont im Westen und im Norden wurde von Feuerschein erhellt.
    Sie saßen um ein kleines Feuer herum. In völliges Schweigen versunken. Bis zu einem ganz bestimmten Augenblick.
    »Reinmar«, ließ sich die in der Dämmerung kaum wahrzunehmende Rixa vernehmen, »eine Sache müssen wir klären. Bożyczko hat
     dich mit seiner Drohung, Jutta wehzutun, geängstigt und dir die Informationen, wo die Überquerung stattfinden sollte, abgepresst.
     Stimmt’s?«
    »Worauf willst du hinaus, liebe Rixa?«, schaltete sich der in der Dämmerung ebenfalls kaum wahrzunehmende Scharley ein.
    »Kurfürst Friedrich hat mit seiner sächsischen Armee nicht dort gewartet, wo er sollte,
ergo
: Er wusste von nichts. Er kannte die Wahrheit nicht. Er hat sich von Fehlinformationen leiten lassen. Ich beabsichtige, dir
     eine Frage zu stellen, Reinmar. Und zwar folgende: Welche Informationen hast du Bożyczko gegeben?«
    »Fehlinformationen natürlich, selbstverständlich Fehlinformationen«, versicherte Scharley aus der Dunkelheit heraus. »Welche
     sonst hätte er denn weitergeben können?«
    »Fehlinformationen hätten herauskommen können.« Rixa gab nicht auf. »Und den Preis dafür hätte Jutta zu zahlen gehabt. Soll
     ich vielleicht glauben, Reinmar, du seist ein solches Risiko eingegangen?«
    »Der sächsische Kurfürst hat mit seiner Armee nicht bei Kössern gewartet«, antwortete wiederum Scharley an Reynevans Stelle.
     »Er hat bei Dornau gewartet, also am falschen Ort. Das musst du selbst zugeben. Genügt dir das nicht als Beweis?«
    »Mir liegt nichts an Beweisen, sondern an der Wahrheit.«
    »Die Wahrheit«, Scharley legte Reynevan, der sich schon anschickte zu antworten, die Hand auf die Schulter, »hat viele Gesichter.
     Was für ein Gesicht hat deine, Rixa Cartaphila? Bevor dich Bożyczko mit dem Schlagring bearbeitet hat, hast du von Reynevan
     unerbittlich und nachdrücklich Informationen darüber, wo übergesetzt werden soll, verlangt. Was für Informationen hast du
     da erwartet, richtige oder falsche? Wie wolltest du dein Wissen nutzen? Wem wolltest du es mitteilen?Und in welcher Form, als Information oder als Desinformation? Hältst du es für so wichtig, herumzustochern?«
    »Ich will die Wahrheit wissen.«
    »Du bist hartnäckig.«
    »Das habe ich von meinen Vorfahren. Ich stochere also weiter herum: Wir begeben uns nach Cronschwitz zum Dominikanerinnenkloster,
     weil Bożyczko Jutta de Apolda ebendort versteckt hat. Wir wissen dies, weil ich seine Nachricht für Reynevan übermittelt habe.
     Als Bożyczko diese Nachricht preisgab, war bereits bekannt, an welcher Stelle übergesetzt wird. Da war auch schon bekannt,
     dass Friedrich in die Irre geführt wurde, dass er aufgrund einer gezielten Fehlinformation einen verhängnisvollen militärischen
     Fehler begehen würde. Dennoch hat Bożyczko Jutta Reynevan zurückgegeben. Er hat sich wie ein ehrlicher Erpresser verhalten.
     Er hat seinen Teil des Vertrages erfüllt, er hat das zurückgegeben, womit er ihn erpresst hat, sobald er das erhalten hat,
     was er durch seine Erpressung erreichen wollte. Was also, frage ich noch einmal, hat Bożyczko erhalten? Eine Information oder
     eine Fehlinformation?«
    »Ich entgegne darauf erneut: Worin besteht da der Unterschied? Die Ergebnisse zählen.«
    »Nicht nur. Auch Prinzipientreue zählt.«
    »Liebe Rixa!« Wer nach langem Schweigen antwortete, war wieder Scharley, kein anderer. »Auch ich hatte Vorfahren. Und auch
     ich habe ein Erbe angetreten. Von einer Generation zur nächsten wurden in meiner Familie verschiedene Lebensweisheiten und
     Sprüche weitergegeben, kürzere, längere und sogar gereimte.

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