Lux perpetua
Aus einem leeren Krug kann auch Salomo nichts einschenken. Einem
Reichen gebiert selbst der Ochse ein Kalb. Das Kloster lebt länger als der Abt. Von diesen Weisheiten gab es unendlich viele,
aber eine davon habe ich mir besonders gemerkt. Sie lautet: Prinzipientreue ist nichts anderes als eine bequeme Ausrede für
willensschwache Dummköpfe, die unbeweglich und gleichgültig sind und nichts tun, weil jegliches Tun ihre Energie und ihr Vorstellungsvermögen
übersteigt.Um damit leben zu können, haben die Dummköpfe aus ihrer Dummheit eine Tugend gemacht. Und rühmen sich ihrer.«
»Schön. Und die Wahrheit?«
»Was ist mit der Wahrheit?«
»Ja, was ist mit ihr?«
»Die Wahrheit«, sagte Samson Honig mit ruhiger Stimme, »ist eine Tochter der Zeit.«
»Gezeugt während einer zufälligen und flüchtigen Romanze mit dem Zufall«, ergänzte Scharley.
Es war später Vormittag, als sie Cronschwitz erreichten. Es war Mittag, als das Klopfen und anschließende Hämmern an die Klosterpforte
sie ermüdete und anödete. Als sie vor lauter Rufen fast schon heiser waren. Die Klosterpforte blieb taub und verschlossen.
Und das steinerne
cenobium
der Dominikanerinnen blieb, wie es war: kalt, tot und stumm.
»Wir kommen zu Fräulein Jutta de Apolda! Mit Erlaubnis ihrer Eltern!«
» Pax vobiscum, sorores !
Uns sendet der Erzbischof von Magdeburg! Öffnet!«
»Wir sind Geistliche!
In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti! Credo in unum Deum, Patrem omnipotentem, Creatorem caeli et terrae!«
»Wir sind gute Katholiken! Wir schwören auf das heilige Kreuz!«
»Wir stiften dem Kloster fünfzig
. . .
hundert Gulden!«
»Jutta! Gib Antwort! Bist du da? Juuttaaaa!«
Die eisenbeschlagene Klosterpforte strahlte eisige Kälte aus und einen feindseligen Geruch nach Rost. Das Kloster schwieg.
Wie ein Grab. Wie die Steine der Mauer, die es umgab.
»Die Nonnen sind drinnen«, entschied Scharley, nachdem sie sich entmutigt in ein nahe gelegenes Wäldchen zurückgezogen hatten.
»Es gibt einen Ausweg. Tábor ist ganz in der Nähe, diese Rauchschwaden kommen irgendwo von Gera her. Auch Altenburg brennt
offensichtlich, wo wir gestern vorbeigekommensind. Ich hüpfe schnell hinüber, bringe eine Hundertschaft hierher und wir erstürmen das Kloster.«
»Dann plündern sie das Kloster. Und die Dominikanerinnen bekommen auch etwas ab.«
»Die hatten ihre Chance.«
»Ich gehe noch einmal zum Kloster hinüber.« Reynevan presste die Lippen zusammen. »Diesmal allein. Ich werde an der Pforte
auf die Knie sinken. Ich werde bitten
. . .
«
Samson sprang plötzlich wie ein Tiger ins dürre Gestrüpp und zerrte einen ziemlich kleinen, mit starkem Bartwuchs gesegneten
Mann am Kragen daraus hervor.
»Lass los
. . .
«, keuchte der Mann. »Lass mich
. . .
Ich sage alles
. . .
«
»Wer bist du?«
»Brunwart, Herr. Der Klosterdiener
. . .
Ich habe gehört, was ihr an der Pforte gerufen habt
. . .
Ihr seid vergebens hergekommen, dieses Fräulein weilt nicht mehr im Kloster
. . .
«
»Rede! Rede, was ist mit ihr!«
»Ihr habt doch da was von Geld gesagt
. . .
«
Sie ritten nach Osten, auf dem Weg nach Chemnitz. Der durch die neuen Informationen aufgeregte Reynevan wieder an der Spitze,
wieder bestimmte er das Tempo.
»Sie sind aus dem Kloster geflohen«, sagte er zum wer weiß wievielten Mal, als sie langsamer ritten. »Jutta und ein anderes
Fräulein. Bei der Flucht hat ihnen ein Geistlicher geholfen, der Liebhaber dieser anderen
. . .
«
»Nehmen wir mal an, dieser anderen.« Rixa grinste schelmisch, wurde aber unter seinem zornigen Blick gleich wieder ernst.
»Sie sind nach Osten geritten«, fuhr er fort, »in Richtung Dresden, auf der
via regia
. Das ist klar, sie wollen nach Hause
. . .
Wir müssen sie einholen.«
»Sie haben das Kloster vor mehr als einer Woche verlassen«, gab Samson zu bedenken. »Wenn man dem Klosterdienerglauben darf. Sie haben einen gewaltigen Vorsprung. Und mein Pferd
. . .
Ich will euch ja nicht beunruhigen, aber mit seinen Beinen stimmt etwas nicht.«
»Das ist ja auch kein Wunder«, feixte Rixa. »So einen Giganten zu tragen, ist nicht einfach. Wie viel wiegst du denn, Dybbuk,
vier Zentner?«
»Wir müssen die Pferde wechseln«, Scharley stand in den Steigbügeln, »deines atmet schwer, Reynevan, wie ich höre. Wir brauchen
neue Pferde. Was sagt ihr zu denen da?«
Er deutete zum Waldrand hinüber, zum Weg, auf dem gerade ein Zug von Landleuten auftauchte. Die
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