Lux perpetua
Faltete die Hände. Das Glasbild mit dem heiligen Bonifaz beleuchtete
ihn vorteilhaft.
»Ein Cherub«, brummte Veronika. »Ich werde wohl heute von ihm träumen.«
»Ich träume jetzt schon von ihm«, flüsterte eine hinter Jutta sitzende Novizin. Die anderen brachten sie durch Zischen zum
Schweigen.
»Liebe Schwestern in Christi«, begann der junge Theologe mit sanfter Stimme. »Erlaubt. Ich werde euch weder belehren, denn
ich bin selbst vom allumfassenden Wissen noch weit entfernt, noch warnen, da ich selbst nicht ohne Sünde bin. Erlaubt mir
nur, euch das mitzuteilen, was mir auf dem Herzen liegt.«
Es herrschte eine derart erwartungsvolle Stille, dass es schien, als dröhne sie im Gewölbe.
»Ein wahrhaft gottesfürchtiger Mensch«, begann Nikolaus von Cusa, »lebt in innerer Sammlung. Frei von irdischen Dingen wendet
er sich ehrfurchtsvoll der ewigen Güte zu. Vom Antlitz der Liebe Gottes ausgesandt, durchzuckt das Licht plötzlich wie ein
Blitz das geöffnete Herz. In seinem Lichtschein spricht der Geist Gottes zum Herzen und verkündet: Ich bin dein und du bist
mein, ich wohne in dir und du wohnst in mir.«
»Zwei Menschen, die sich lieben, verbindet eine ähnliche Gemeinschaft. Der Wunsch des einen ist der Wunsch des anderen. Sein
Verlangen ist dein Verlangen
. . .
«
Auf dem Gesicht von Kanonikus Langenreuth zeichnete sich ein leichter Ausdruck der Beunruhigung ab. Die Gesichter vieler Nonnen,
die Äbtissin eingeschlossen, verschönte ein sehnsüchtiges Lächeln.
»
. . .
denn die Liebe kommt von Gott, wahrhaftig von Gott,und es ist nichts Unreines darin. Liebe und Verlangen sind rein wie das Licht, wie die
lux perpetua
, wie die Natur des von der Sünde unberührten Gartens Eden.«
»O Schwester, meine Schwester, unter vielen die eine! Warte, warte geduldig, verharre in Frömmigkeit und Gebet! Bis der Tag
kommt, an dem der Strahl der Liebe erglänzt, an dem der erscheint, dem du Liebe schenkst. Es kommt der
suavissimus
voller Anmut und führt dich in den
hortus conclusus
der Lust. Verlangen und dann Erfüllung! Die Kraft der Liebe erfüllt dich, taucht dich ein in vollkommene Freude. Die Seele
voller Freude dient dem, den sie umso heißer liebt, da sie ihre Blöße nicht vor der Blöße seiner Unschuld verbirgt
. . .
«
Die Unruhe, die sich auf Langenreuths Gesicht abzeichnete, trat immer deutlicher zutage. Die Nonnen hingegen begannen, ein
erschreckendes Tempo einschlagend, immer heftiger zu träumen.
»Er nennt dich seine Liebste, seine Liebe, die süßer ist als Wein, und der Duft der Öle, der stärker ist als aller Balsam.
Und er spricht zu dir:
Quam pulchrae sunt mammae tuae soror mea . . .«
»Wenn das die
devotio moderna
ist«, flüsterte eine Novizin von hinten, »dann trete ich bei.«
»Lass uns früh aufbrechen zu den Weinbergen und sehen, ob der Weinstock sprosst und seine Blüten aufgehen, ob die Granatbäume
blühen: Da wirst du ihm deine Liebe schenken. Deine Brüste
. . .
«
»Heilige Veronika, liebe Namenspatronin
. . .
Ich halte es nicht aus
. . .
«
». . . deine Brüste,
mandragorae dederunt odorem,
das ist die Frucht, wirst du sagen, die ich für dich, mein Liebster, aufbewahrt habe. Und dann erfüllt sich die
commixtio
der Geschlechter, erfüllt sich die
unio mystica.
Es erfüllt sich, was natürlich ist, im Angesicht Gottes, der die Natur ist. Amen. Der Friede sei mit euch, meine Schwestern.«
Constantia von Plauen seufzte, für alle hörbar, erleichtertauf. Ein tiefer Seufzer entrang sich Oswald von Langenreuth. Kanonikus Haugwitz wischte sich den Schweiß von Stirn und Tonsur.
»Das ist unsere Chance«, wiederholte Veronika. »Wir können sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.«
Sie führten dieses Gespräch heimlich in der Kammer hinter der Bäckerei. Ihr üblicher Beratungsort war besetzt, eine der jüngeren
Konversen hatte Durchfall und saß ständig im
necessarium.
»Schüttle nicht den Kopf und verzieh nicht das Gesicht.« Veronika kräuselte die Nase. »Dieser Theologe ist unsere Chance,
ich sag’s dir noch einmal. Er denkt nur an eins, Jutta, das garantiere ich dir. Das ganze Kloster hat seine Rede gehört, alle
haben gesehen, was in seinen Augen zu lesen stand. Ebendiese Sache, an die wir beide unaufhörlich denken.«
»Du vielleicht!«
»Von mir aus. Dann eben ich. Und der Rest des Klosters, die ehrwürdige Mutter von Plauen eingeschlossen. Ich habe nicht die
Absicht zu warten, bis eine von denen uns zuvorkommt
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