Lux perpetua
Belehrung erteilen.
Diese Belehrung, wie ich anmerken möchte, betrifft ganz bestimmte weltliche Dinge. Daher sind sie auch hauptsächlich an die
Fräulein gerichtet, die zurzeit unter uns weilen, wie auch an die
sorores
und Konversen, die nicht durchhalten und in die Welt zurückkehren werden. Aber auch uns, die wir uns geopfert und die Gelübde
abgelegthaben, wird dieses Wissen nicht schaden, nehme ich an. Denn Wissen schadet nie, und man kann nie genug davon bekommen. Amen.«
Kanonikus Oswald von Langenreuth trat vor.
»Wir sind nicht vollkommen!«, sagte er nach einer effektvollen Pause und einem gleichfalls effektvollen Ringen der Hände.
»Wir sind schwach! Wir sind der Versuchung ausgesetzt. Wir alle, unabhängig von Alter, Verstand und Geschlecht. Wisst aber,
Schwestern, dass die Weiber stärker, hundertfach stärker der Versuchung ausgesetzt sind. Denn wenn unser Schöpfer schon den
Mann unvollkommen erschuf, so erschuf er die Frau als das unvollkommenste Geschöpf unter den Tieren. Indem er ihr die Fähigkeit,
Leben zu geben, verlieh, hat er sie zugleich dem Verlangen und der Wollust ausgeliefert. Er hat sie dem Leiden ausgeliefert.
Denn schon der kluge Albertus Magnus sagt: Wollust und Verlangen ähneln der Krankheit, wen sie ergreift, der leidet
. . .
«
»Und wie«, brummte Veronika.
». . . der ist nicht gesund. Dann braucht es große Kraft, um dem Verlangen zu widerstehen. Aber wie ist denn das Weib beschaffen?
Das Weib ist schwach! Es hat keinen Geist, und sein Leib ist dem Verlangen hilflos ausgeliefert. Selbst in der Ehe findet
es keine Rettung vor der fleischlichen Lust. Wie soll es sich auch widersetzen, wenn es seinem Gemahl Gehorsam und Unterwürfigkeit
schuldet? Gemäß den Worten der Heiligen Schrift? Das Buch Genesis spricht: Dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber
er soll dein Herr sein. Die Frauen sollen sich ihren Männern unterordnen, lehrt der heilige Paulus in seinem Brief an die
Epheser.«
»Wie also sollen wir sein, fragt ihr«, fuhr der Kanonikus fort, »was sollen wir tun? Sich unterordnen und körperlich sündigen?
Oder dem Gemahl widerstehen und durch Ungehorsam sündigen? Wisset also, liebe Schwestern, dass es einen Ausweg aus diesem
Dilemma gibt, dank der Lehren der großen Gelehrten und der gelehrten Theologen unserer Kirche.«
»So spricht Thomas von Aquin: Wenn euer Gemahl, von Wollust getrieben, euren Körper begehrt und körperlichen Umgang verlangt,
so müsst ihr ihn davon abbringen, indem ihr euch eifrig, aber klug verhaltet. Wenn euch dies aber nicht gelingt, und meistens
gelingt es nicht, dann seid ihm untertan und bewahrt euren Gemahl vor einer größeren Sünde, indem ihr die kleinere begeht.
Unbefriedigt ist er nämlich bereit, seine Wollust ins Bordell zu tragen, oder, was Gott verhüten möge, mit einem fremden Weibe
ehebrechend zu sündigen. Oder sich einen Knaben zu greifen und
. . .
Erbarmt euch, ihr Heiligen des Herrn! Dann, Schwestern, ist es besser, sich zu opfern, als den Ehegemahl solch schwerer Sünden
auszusetzen. Wohl tut, wer seinen Nächsten vor der Sünde bewahrt. Dies ist eine gute Tat!«
»Gut zu wissen«, brummte Veronika. »Das werd’ ich mir merken.«
»Sei doch leise«, zischte Jutta.
»Man muss aber auch danach trachten, dass die Wollust dabei gering sei. Der Kirchengelehrte Guillaume d’Auxerre sagt: Der
körperliche Umgang wird von großer Lust begleitet. Doch der begeht keine Sünde, dem die Lust kein Vergnügen bereitet. Aber
leider geschieht es nur selten, dass sie dies nicht tut
. . .
«
»Verdammt selten«, wisperte Veronika.
»Dann gibt es nur eins, was man raten kann: Beten. Brünstig und unaufhörlich zu beten. Aber nur im Geiste, still, um den Gemahl
während des körperlichen Umgangs nicht zu kränken, denn eine Kränkung des Gemahls während des körperlichen Umgangs ist nicht
nur eine Sünde, sondern auch eine Gemeinheit!«
»Amen«, flüsterte eine der Nonnen.
»Wie ihr seht, Schwestern«, sagte die Äbtissin ernsthaft, »ist die Sache nicht einfach. Mehr darüber wird uns unser zweiter
namhafter Gast, der Gelehrte Nikolaus von Cusa, sagen, ein Theologe, Baccalaureus der Universität Heidelberg,
decretorum
doctor
der Universität von Padua, Kanonikus von Trier und Sekretär des dortigen Erzbischofs. Ein Mann, noch jung an Jahren, aber
durch seine Frömmigkeit und Klugheit schon hochberühmt.«
Der junge Mann in Reynevans Alter stand auf. Er trat vor.
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