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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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seinem
     Mund verdrängend. Er führte magische Gesten und Zeichen aus, wobei er nur schwer das Zittern seiner Hände bezwang.
    »Magna Mater . . .« ,
murmelte er. »Mutter der Götter
. . .
Du, die du allein uns verteidigst und schützt
. . .
Mutter Sonne, deren Leib weiß ist von der Milch der Sterne!
Elementorum omnium domina,
Herrin der Schöpfung, Nährerin der Welt! Hüterin des Himmels und des Meeres, aller Götter und Mächte,
aeterne caritatis desideratissima filia, aeterne sapientie mater gratissima, sub umbra alarum tuarum protege nos.
Gibmir, ich flehe dich demütig an, die Kraft eines Mittels, das Heilung bringt. Rette sie, ich flehe dich an. Lass sie leben.«
    Das Wunder geschah nicht.
    Jutta verschluckte sich und begann Blut zu spucken. Heftig strömte das Blut ihr auch aus der Nase. Er stütze sie und bog ihren
     Kopf zur Seite. Hilflos sah er zu.
    »Wie
. . .
«, fragte Scharley, kaum hörbar. »Wie wird sie
. . .
«
    »Durch Zerstörung des gesamten Organismus.«
    »Wie lange
. . .
«
    »Sehr lange.«
    »Reynevan
. . .
« Jutta ergriff plötzlich seine Hand. Ihre nunmehr schon dunkelblauen Finger hatten fast keine Kraft mehr, ihn zu umfassen.
     »Ich will
. . .
In die Sonne
. . .
«
    Alle eilten, um ihr zu helfen. Sie hoben sie auf, trugen sie vor die Scheune und betteten sie auf ein improvisiertes Lager
     aus ausgebreiteten Mänteln. Die Sonne war nicht zu sehen. Es gab nur tiefhängende, bleigraue Wolken.
    Erneut begann sie heftig aus der Nase zu bluten, ihre blutgetränkten Beinkleider kündeten von Blutungen der Verdauungsorgane
     und der Zeugungsorgane. Krampfartige Schüttelfrostattacken beutelten sie. Sie zitterte lange Zeit.
    Hilflos sahen sie auf sie herab.
    »Reyne
. . .
« Sie spuckte Blut. »Reynevan
. . .
«
    »Ich bin bei dir.«
    »Du bist da
. . .
« Sie sah ihn an, mit ziemlich klarem Blick. »Du bist da
. . .
Das ist gut
. . .
«
    Unter großer Anstrengung tastete sie nach seinem Arm. Dann nach seiner Hand. Ihre Finger und Fingernägel waren nun schon ganz
     schwarz. Ebenso die Füße.
    »Es wird Zeit
. . .
Montségur
. . .
«
    »Was sagst du? Jutta?«
    »Montségur
. . .
dauert immer noch an
. . . Endura et consolamentum . . .
Ich möchte
. . .
die Stimme
. . .
von dort hören
. . .
« Reynevan schüttelte den Kopf und blickte fragend seine Freunde an. Scharley hob die Hände.
    »Erlaube es mir«, sagte Samson.
    Er kniete neben Jutta nieder und nahm ihre schwarze Hand in die seine.
    »Benedicite« ,
sagte er leise.
»Benedicite , parcite nobis.«
    »Parcite nobis« ,
flüsterte sie zurück. »Für alle Sünden
. . .
bitte ich um Vergebung
. . .
«
    »De Deu e de nos vos sian perdonatz« ,
sagte Samson.
»E nos preguem Deu que les vos perdo.«
    Es sah so aus, als wolle Jutta lächeln. Aber die Lähmung durch den Schmerz verunstaltete ihr Gesicht zu einer schrecklichen
     Grimasse. Aus der Nase und den Mundwinkeln floss Blut. Das Blut war schon durch alle Mäntel gedrungen, mit denen sie zugedeckt
     war.
    »Reinmar.« Samson erhob sich. »Es wird Zeit. Möge es sich vollenden.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Bevor Jutta stirbt«, der Riese trat näher und senkte die Stimme, »wird sie mindestens noch mehr als zwölf Stunden leiden.
     Lässt du es zu, dass sie leidet?«
    »Was sagst du da? Ich sollte
. . .
Samson
. . .
Ich bin Arzt! Ich bin ein Christ
. . .
Gott verbietet
. . .
Das göttliche Recht
. . .
«
    »Ein Recht, das zu leiden heißt? Wenn man das Leiden früher beenden kann? Du weißt nichts von Gott, mein Junge, du kennst
     ihn überhaupt nicht. Du machst einen grausamen Fanatiker aus ihm. Du beleidigst ihn damit. Das schickt sich nicht.«
    »Aber
. . .
«
    »Du bist Arzt. Heile das Leiden.«
    Scharley nahm Rixa am Arm und führte sie beiseite. Tybald Raabe ging ihnen nach.
    Samson und Reynevan knieten neben Jutta. Samson zu ihrer Rechten, Reynevan zu ihrer Linken. Bevor sie niederknieten, war Jutta
     bewusstlos gewesen, jetzt hatte sie das Bewusstsein wiedererlangt.
    »Reinmar
. . .
«
    »Ich liebe dich«, flüsterte er, seine Lippen dicht an ihrem Ohr. »Ich liebe dich, Jutta.«
    »Ich liebe dich auch. Ich bin bereit.«
    »Pater sancte« ,
sagte Samson leise,
»suscipe ancillam Tuam in Tua iustitia et mitte gratiam Tuam e Spiritum Sanctum Tuum super eam.«
    »Lux in tenebris lucet« ,
flüsterte sie ganz deutlich. »Das Licht leuchtet in der Dunkelheit
. . .
Und die Dunkelheit hält sie nicht umfangen.«
    Als sie das gesagt hatte, traten die Wolken plötzlich auseinander.

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