Lux perpetua
nur noch Tonscherben und Farbsplitter in der Faust hatte. Er stützte sich mit dem Rücken gegen den Schanktisch und zückte
seinen Dolch.
»Steck das Messer weg!«, brüllte der Schankwirt und eilte mit seinen Knechten herbei. »Das Messer weg, du Hundsfott! Und raus
hier! Dass ich euch hier nicht wieder sehe, ihr Galgenvögel! Ihr Taugenichtse! Ihr Raufbolde! Ihr setzt keinen Fuß mehr über
meine Schwelle! Raus, sage ich!«
»Die haben angefangen
. . .
«
»Das sind Stammgäste! Und ihr seid Fremde! Dahergelaufene! Schert euch fort! Raus, raus, sage ich!«
Die Gäste hatten ihren Spaß, sie lachten Tränen, die Frauenzimmer bekundeten mit dünnem Lachen ihren Beifall. Der ausgestopfte
Bär beobachtete den Zwischenfall aus einem Glasauge. Das andere hatte ihm schon jemand herausgepult.
Sie gingen nicht weit, nur bis zur Ecke des Stalles. Als sie Schritte hinter sich hörten, wandten sich beide, gespannt wie
Sprungfedern, um. Reynevan mit dem Dolch in der Hand.
»Ruhig.« Der Mann, den sie da drinnen am Tisch in der Ecke zwischen Krügen und Frauenzimmern gesehen hatten, hob die Hand.
»Ruhig, macht keinen Blödsinn. Ich bin Grabis Hempel.«
»Genannt Allerdings?«
»Allerdings. In der Tat.« Der Mann reckte sich. Er war hochgewachsen und dünn und hatte lange, affenartige Arme. »Ihr kommt
auf Empfehlung des Kanonikus, denke ich mir.Aber der Kanonikus hat nur von einem gesprochen. Wer von euch ist das?«
»Ich.«
Allerdings blickte Reynevan forschend an.
»Das war nicht sonderlich klug von dir«, sagte er dann, »hierherzukommen und zu fragen. Und die Schlägerei war eine weit dümmere
Idee. Hierher kommen oft Spitzel, die könnten sich an dich erinnern. Obwohl, du hast wirklich ein Gesicht, an das man sich
schwer erinnert. Nichts für ungut.«
»Schon in Ordnung.«
»Ich gehe in die Schankstube zurück.« Allerdings zuckte die mageren Achseln. »Es hätte jemand sehen können, dass ich euch
nachgegangen bin, und mich erkennt man leicht wieder. Wir treffen uns morgen. In der Militscher Straße, im Weinkeller ›Zum
Armesünderglöcklein‹. Zur Terz. Und jetzt geht mit Gott. Verschwindet von hier.«
Sie trafen sich. Am neunzehnten Februar, dem Samstag vor
Reminiscere.
In der Militscher Straße, im Weinkeller »Zum Armesünderglöcklein«, in dem hauptsächlich Glockengießergesellen verkehrten,
der aber jetzt, zur Terz, eher leer war. Gleich zu Beginn hatte Reynevan versucht, unumwunden zu erklären, worum es bei dieser
Sache ging. Allerdings ließ dies jedoch nicht zu.
»Ich weiß bis in alle Einzelheiten, worum es dabei geht«, unterbrach er Reynevan, noch bevor sich dieser näher erklären konnte.
»Die Einzelheiten hat mir unser gemeinsamer Bekannter, Kanonikus Beess, bis vor kurzem noch Präpositus des Domkapitels, auseinandergesetzt.
Er hat dies, das muss ich zugeben, nur ungern getan, weil er entschlossen war, dich und deine Geheimnisse zu schützen. Er
wusste aber auch, dass ich ohne dieses Wissen die Aktion nicht hätte vorbereiten können.«
»Du hast also bereits alle Einzelheiten erfahren«, mutmaßte Reynevan. »Und hast die Aktion vorbereitet. Dann zu den Einzelheiten.
Die Zeit drängt
. . .
«
»Eile mit Weile«, unterbrach ihn Allerdings rücksichtslos, »wie die Polen sagen. Bevor wir über die Einzelheiten sprechen,
müssen wir noch über ein allgemeines Problem diskutieren. Das sich auf die Einzelheiten auswirken kann. Und zwar sehr.«
»Was für ein Problem?«
»Ob die geplante Aktion überhaupt Sinn macht.«
Reynevan schwieg eine Zeit lang und spielte mit seinem Becher.
»Ob die Aktion Sinn macht?«, wiederholte er schließlich. »Wie willst du das herausfinden? Sollen wir vielleicht abstimmen?«
»Reynevan«, Allerdings senkte den Blick nicht, »du bist ein Hussit. Du bist ein Verräter. In dieser Stadt bist du ein missliebiger
Feind, du befindest dich mitten im Lager des Feindes. Man verabscheut dich als Ketzer, als Abtrünnigen vom Glauben, der erst
vor vier Wochen unter dem Läuten der Glocken in dieser Stadt mit dem Anathema belegt worden ist. Du bist hier nichts anderes
als ein Tier, das man zur Jagd freigegeben hat, ein Lämmchen inmitten eines Rudels von Wölfen, alle stellen dir nach und machen
Jagd auf dich. Wer dich zur Strecke bringt, wird geehrt mit Ruhm, Bewunderung, Prestige, ihm werden die Sünden vergeben, die
Obrigkeit ist ihm zu Dank verpflichtet, ihm winkt eine Belohnung in Form von Geld, und vom
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