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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Schusterbrücke lag ganz einfach auf seinem Weg.
    »Weißt du, wohin der Kanonikus gefahren ist? Nach Hause, nach Rogau?«
    »Allerdings«, bestätigte Allerdings. »Ich schließe nicht aus, dass er für lange Zeit dort weilen wird. In Breslau hat sich
     eine schlechte Aura um ihn gebildet.«
    »Ein wenig wohl auch meinetwegen.«
    »Möglicherweise wird deine Eitelkeit gekränkt«, Allerdings blickte ihn über die Schulter hinweg an, »aber ich sage dir: Du
     schmeichelst dir ein wenig zu sehr. Selbst wenn du ein Grund gewesen wärst, dann nur einer unter vielen. Und schon gar nicht
     der wichtigste. Bischof Konrad hat den Kanonikus Otto Beess schon seit längerem schief angesehen und hat daher eine Gelegenheit
     gesucht, ihm eins auszuwischen. Am Ende hat er dessen Stammbaum gemustert und hat, stell dir vor, den Kanonikus zu einem Polen
     gemacht. Er sei kein Beess, hat er verkündet, sondern ein Bies. Schlicht und einfach ein polnischer Bies. Und für einen polnischen
     Bies habe man keinen Platz in der Diözese Breslau. Der polnische Bies habe von einer Prälatur am Dom geträumt? Dann solle
     er doch nach Gnesen gehen oder nach Krakau, dort gebe es auch Dome.«
    »Dome gibt es, um ganz genau zu sein, in Polen auch noch in Posen, in Włocławek, in Płock und in Lwów. Und die Beess’, um
     genau zu sein, sind keine Polen. Das Geschlecht stammt aus Kroatien.«
    »Kroatien, Polen, Böhmen, Serbien oder Moldawien«, Allerdings spitzte die Lippen, »das ist dem Bischof doch Jacke wie Hose,
     ein Bies alles ein und derselbe Mist. Das sind alles slawische Völker. Feinde. Uns, den guten Deutschen, nicht wohlgesinnt.«
    »Ha, ha. Sehr komisch.«
    »So wahr ich lebe. Und weißt du, was paradox ist?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Dass sich der Bischof selbst schadet, indem er dem Kanonikus schadet. Otto Beess war im Breslauer Domkapitel praktisch der
     Einzige, der den Bischof bei der Frage nach der uneingeschränkten Macht des Papstes unterstützt hat, die übrigen Kanoniker
     haben sich zunehmend für den Konziliarismus ausgesprochen. Der Bischof vergrault durch Intrigen seine Anhänger, das kann schlimm
     für ihn enden. Das Konzil in Basel rückt immer näher. Dieses Konzil kann viele Veränderungen mit sich bringen
. . .
Hörst du mir überhaupt zu? Was machst du denn da?«
    »Ich mach’ meinen Schuh sauber. Ich bin nämlich in Scheiße getreten.«
     
    Breslau war im Frühjahr 1428 eine Insel im Meer des Krieges, eine Oase inmitten von Kriegsschäden. Obwohl sie von der Welt
     durch die Ohle und die Oder getrennt war, obwohl gewaltige Mauern sie schirmten, war die schlesische Metropole weit davon
     entfernt, sich den glücklichen Luxus von Sicherheit und Gewissheit eines Morgen zu gönnen. Breslau erinnerte sich nur zu gut
     an das vergangene Frühjahr. Die Erinnerung daran war lebendig und so gegenwärtig, dass man sie fast mit Händen greifen konnte.
     In ihr lebten der Feuerschein der brennenden Städte Brieg, Rützen, Zobten am Berge, Gnichwitz,Neumarkt und des kaum zwei Meilen entfernten Kattern. Breslau erinnerte sich auch an die ersten Tage des Monats Mai, als es
     von der Stadtmauer auf die Armee Prokops des Kahlen herabgeblickt hatte, mit tränenden Augen, des Qualmes wegen, der von den
     brennenden Orten Neukirch und Mochbern herüberzog. Und es war noch keine sechs Wochen her, dass von Süden kommend die Waisen
     das Tal der Oder entlangzogen, dass alle Glocken der Metropole mit Schrecken dieses Herannahen auf der nur einen Tagesmarsch
     entfernten Ohlauer Straße meldeten.
    Breslau war eine Insel im Ozean des Krieges, eine Oase inmitten von Bränden und Aschehaufen. Südlich von Breslau war die Erde
     eine menschenleere Brandstätte geworden. In Breslaus Mauern, die in Friedenszeiten fünfzehntausend Menschen Schutz gewährten,
     suchte jetzt etwa die doppelte Menge Asyl. In Breslau war es eng geworden, es herrschte höchster Mangel an Raum. Beengtheit.
     In einer Atmosphäre von Gefährdung und Bedrohung. Inmitten lähmender Angst. Und allgemein verbreiteter Denunziation.
    Schuld daran waren alle: der Bischof, die Domherren, die Inquisition, die Stadtverwaltung, das Patriziat, die Ritterschaft
     und die Kaufleute. Alle. Diejenigen, denen die Sicherheit der Stadt wirklich am Herzen lag. Diejenigen, die hinter jeder Ecke
     einen hussitischen Spion vermuteten und sich mit Schaudern an das letzte Jahr erinnerten, an die durch Verrat geöffneten Tore
     Frankensteins und Reichenbachs, an die durch List

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