Lux perpetua
hervor, und der Mauerläufer griff an. Sie flohen vor ihm hinter den Brunnen,
aber auch das rettete sie nicht. Der Erste sank nach einem Stich in die Leiste auf die Knie; noch bevor er ordentlich schreien
konnte, war seine Kehle auch schon durchtrennt. Der Zweite wollte ihm zu Hilfe kommen und attackierte ihn in klassischer Fechthaltung.
Der Mauerläufer ließ ihn vorschriftsmäßig an sich herankommen, parierte den Hieb und stieß ihm dann kraftvoll und sicher das
Schwert ins Gesicht, zwischen Augen und Nase.
Der Getroffene richtete sich auf, zitterte und begann hilflos mit den Armen zu rudern. Dann sank er direkt in die Klinge,
weich wie ein Stück Stoff.
Einer war noch übrig, der im Dunkeln lauerte. Er kam dem Mauerläufer zuvor und griff zuerst an. Er schrie etwas Unverständliches
und hob seine seltsame Waffe zum Schlag, das war kein Beil, aber auch keine Keule. Der Mauerläufer trickste ihn mit einer
Finte aus und stieß dann kurz zu.
Der Angreifer fiel auf die Knie. Und dann auf sein Gesicht.
Der Mauerläufer blickte auf das Schwert. Man sah sofort, dass dies keine gewöhnliche Waffe war. Und keine billige. Wahrscheinlich
Mailänder Arbeit.
Die Klinge zeigte die Punze des Waffenschmiedes, klein und in der Dunkelheit schwer zu erkennen. Der Mauerläufer wollte sie
auch gar nicht erkennen.
Einer der Verletzten röchelte, schlotterte, und seine Gürtelschnalle schabte über die Steinplatte des Brunnens, zu der er
sich hingeschleppt hatte. Der Mauerläufer war mit drei Schritten bei ihm, schlug zu, einmal, zweimal, beim dritten Mal brach
knirschend die Mailänder Klinge. Er warf sie weg.
Noch ein anderer stöhnte. Der, den er zuletzt niedergezwungen hatte. Der Mauerläufer trat auf ihn und hob die seltsame Waffe
auf. Es war ein Kreuz. Ein großes, schweres, eisernes Kreuz mit zwei geraden Balken. Auf den Balken funkelte eine silberne
Gravur.
»Verdammt noch mal, ich bin kein Dämon«, fluchte der Mauerläufer. Er ergriff das Kreuz und schlug damit zu wie mit einer Axt.
Mit dem Mantelsaum des Erschlagenen rieb er sich die Spritzer von Gehirnmasse von seinen Hosenbeinen. Und ging seines Weges.
Durch das nächtliche Breslau. Die Stadt, die nachts gefährlich sein konnte.
Achtes Kapitel
in dem Prokop der Kahle Reynevan auf der Burg Odrau sein Vertrauen schenkt und ein zehenloses Gespenst den Nachkommen Gedimins
die Zukunft voraussagt.
Wenn man vom Norden her dem Lauf der Oder folgte, präsentierte sich einem die am rechten Ufer des Flusses gelegene Stadt schon
von weitem. Über der einen steilen Felsen krönenden kleinen Burg erhob sich ein runder Turm mit einem spitzen Dach. Die Burg,
der Legende nach von den Tempelrittern erbaut, schloss sich mit ihren reichlich mit behäbigen Basteien durchsetzten Mauern
an das Rund der Stadtmauer an. Über der Stadt leuchtete der Glockenturm der Pfarrkirche mit seinem neuen Dach aus Goldblech.
Dunstschleier zogen über den Fluss, Nebel breitete sich über dem Schilfrohr und den Weiden aus, die zu grünen begonnen hatten.
Prokop der Kahle stand in den Steigbügeln, stöhnte und hielt sich sein Kreuz.
»So, da vor uns liegt Odrau. Wir wollen uns beeilen.«
Auf den Wachtürmen der Stadt hatte man den Trupp bereits bemerkt und durch Rufe gemeldet. Ketten rasselten, die heruntergelassene
Zugbrücke dröhnte, das heraufgezogene Gitter quietschte. Unter Hufgetrappel ritten sie hinein. An den Wällen entlang, dann
durch schmale Gassen, an Werkstätten, Läden und Häusern der Kaufleute vorbei.
»Deine Medizin hört auf zu wirken«, knurrte Prokop. »Jesus Christus, Reynevan, es zerreißt mich gleich so, dass ich aus dem
Sattel katapultiert werde
. . .
«
»Geduld. Lass mich nur erst eine Apotheke finden.«
»Die Apotheke ist am Markt«, sagte Bedřich ze Strážnice,der neben ihnen ritt. »Da war sie immer. Es sei denn, sie haben sie schon ausgeplündert.«
Die Stadt Odrau verdankte ihr Gedeihen ihrer günstigen Lage: Sie lag an der sogenannten Mährischen Pforte, einer Senke zwischen
den Bergketten der Sudeten und Karpaten, an einem Weg, der von der Donau zur Oder und zur Weichsel führte. An einer Straße,
die den Süden mit dem Norden verband, Danzig und Thorn mit Buda, Krakau mit Wien und Venedig, Posen und Breslau mit den venezianischen
Besitzungen an der Adria. Dies war also ein von der Natur vorgegebener wichtiger Handelsweg, auf dem die Karawanen der Kaufleute
unaufhörlich entlangzogen.
Zu den Zeiten der
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