Luzifers Hammer
»Sicher. Er ist mit seinen Schularbeiten fertig. Wo willst du hin?«
»Cloudburst Gipfel.«
Harvey lachte. Tim Hamners Observatorium war nicht weit von dort entfernt, obwohl Harvey es nie gesehen hatte. Er mußte mindestens ein Dutzend Mal daran vorbeigestapft sein.
Sie besprachen die Einzelheiten. Wenn der Santa Ana weiterblies, würde es überall tauen, außer in den höchsten Lagen, aber an den Nordhängen würde sicher noch Schnee liegen. Ein Dutzend Scouts und Gordie. Es hörte sich lustig an, und es war ein Witz. Harvey schüttelte reuevoll den Kopf. »Du weißt, Gordie, als ich ein Bub war, bedeutete es einen Tagesmarsch bis Cloudburst. Keine Straßen. Jetzt fahren wir in einer Stunde hin. Das ist der Fortschritt.«
»Ja. Aber es ist doch ein Fortschritt, nicht wahr? Ich meine, wir können hingehen und dennoch unsere Arbeit machen.«
»Sicher. Verdammt, ich wollte, ich könnte gehen. In der Zeit wären sie hingefahren – in einer Stunde – und reinmarschiert, die Sachen aus den Rucksäcken gepackt und ein Lager eingerichtet, feuchtes Holz zum Brennen gebracht und ihre Spirituskocher in Gang gesetzt, das hartgefrorene Gebirgsessen schmeckte stets wie Ambrosia. Und Kaffee um Mitternacht, windgeschützt in einem Unterstand, dem Pfeifen des Windes über dem Kopf lauschend … Herrje! Doch es war keinen Kometen wert. Tut mir leid.«
»Gut. Okay, ich werde mit Andy reden. Schau dir sein Gepäck durch, ja?«
»Sicher.« Was Gordon meinte, war dies: »Laß nicht Loretta für deinen Sohn packen.
Es ist so schon schwer genug, in jenen Höhen zu wandern, ohne all den Kram, den er mitschleppen muß. Wärmflaschen und Extradecken. Einmal war es sogar ein Wecker.«
Harvey mußte sich Jacke und Schlips holen. Als er aus der Garage kam, schlug er einen anderen Weg ein, zum Hinterhof.
Er dachte daran, Gordie zu fragen: »Wie wär’s jetzt mit Gordies Bank und Kaffeeklatsch.« Nach Gordies Gesichtsausdruck beim Erwähnen der Bank zu schließen, war da nicht viel zu machen.
Da gab es offensichtlich Schwierigkeiten, Schwierigkeiten privater Art.
Andy war im Hinterhof jenseits des Schwimmbeckens und spielte allein Basketball.
Randall verhielt sich ruhig und beobachtete ihn. Auf Nullkommanichts, im Lauf eines Jahres, das ihm wie eine Woche vorkam, hatte sich Andy vom Buben zu einem jungen Kerl gemausert … einer schlaksigen Gestalt aus ungefügen Armen und Beinen und Händen, einem Haufen langer Knochen, die hinter einem Basketball her waren. Er schleuderte den Ball sorgfältig, tänzelte herum, um ihn wieder einzufangen, dribbelte und landete erneut einen nahezu perfekten Wurf: Andy lächelte nicht; er nickte, düster und zufrieden.
Der Junge ist nicht schlecht, dachte Harvey. Seine Hosen waren neu, aber sie reichten kaum noch bis an die Knöchel. Im September wird er fünfzehn und reif für die höhere Schule. Und ihm blieb nichts anderes übrig, als den Jungen auf die Harvardschule zu schicken, sicherlich die beste in Los Angeles. Nur war es ein Glücksfall, einen Platz zu ergattern, und die Orthodonisten wollen gleich einen Tausender und später noch mehr.
Da war das komische Geräusch der Pumpe fürs Schwimmbecken. Was das wieder kosten würde! Und er dachte an den Elektronikerklub, in dem Andy Mitglied war. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis sich der Junge einen Mikrocomputer wünschte, und wer konnte ihm das übelnehmen? … Und …
Randall schlich leise ins Haus und war froh, daß ihn Andy nicht bemerkt hatte.
Teenager-Jungs konnten durchaus ein Aktivposten sein. Sie konnten draußen arbeiten, eine Arbeitsgruppe leiten oder einen Traktor fahren. Die Last ließ sich teilen, auf jüngere Schultern übertragen. Ein Mann konnte aufatmen.
In der Küche lag Packpapier im Abfalleimer. Loretta hatte wieder einmal eingekauft. Die Weihnachtseinkäufe waren auf Kredit gegangen, und die Rechnungen würden sich auf seinem Tisch stapeln. Okay. Er hatte bereits die Börsennachrichten im Radio gehört. Der Aktienkurs war verflucht niedrig.
Loretta war nirgendwo zu finden. Harvey ging in den großen Umkleideraum hinter dem Bad, zog sich aus und trat unter die Dusche. Das heiße Wasser prasselte auf seinen Nacken und spülte die Spannung hinweg. Er hatte abgeschaltet und stellte sich vor, er sei ein Stück Fleisch, das mit Wasserdruck massiert wird. Wenn er nur wirklich hätte abschalten können.
Andy hat so was wie ein Gewissen. Ich habe weiß Gott nie versucht, ihn mit Schuldgefühlen zu belasten. Disziplin
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