Luzifers Hammer
Jahre Zivilisation werden von den Wassern ins Mittelmeer gerissen. Vom ersten Katarakt bis zum Mittelmeer existiert im Niltal kein höheres Leben mehr.
DIE BETTLER
O Herr, ich bete inniglich
für die auf See, erhöre mich.
Seemannslied
Eileen schlief auf dem zurückgelegten Sitz, während der Sicherheitsgurt über ihr baumelte. Sie rollte hin und her, so wie der Wagen sich bewegte. Einmal vernahm Tim so was wie ein Seufzen. Er langte hintenüber und befestigte den Gurt. Dann schaltete er den Motor ab.
Er erinnerte sich, daß sein Fahrer in Griechenland ebenso gehandelt hatte, selbst auf der kurvenreichen Straße von Delphi über den Parnaß zu den Thermopylen. Das war zwar furchtbar, aber sein Fahrer bestand darauf. In Griechenland war das Benzin teurer als sonst wo.
Wo waren die Thermopylen geblieben? Hatten die Wasser das Grab der Dreihundert hinweggespült? Delphi dürfte die Wogen nicht erreicht haben; nicht so hoch gewesen sein wie die Akropolis. Griechenland hatte schon so manche Katastrophe überstanden.
Die Straße war kurvenreich und abschüssig, und Tim fuhr den Wagen so vorsichtig wie möglich durch die Kurven, wobei er sich verschiedentlich der Bremse bediente. Jetzt lag eine lange, gerade Strecke vor ihm, dann führte der Weg weiter bergab über eine nasse, gewundene, holprige Straße, und die Erinnerung an die Fahrt mit Eileen ließ ihn an seinen Fahrkünsten zweifeln.
Die Berge hatten sich verlagert. Plötzlich endete die Straße im Nichts. Tim bremste scharf und brachte den Wagen zum Stehen.
Dann ging er im sanften Regen nach vorn. Das Wasser schmeckte süß, immerhin war es kein Salzregen mehr.
Ein Stück der Straße von etwa fünf Metern Länge war mit der steilen Böschung etwa vier Meter tief abgerutscht. Der gegenüberliegende Rand der Straße hing tiefer, und davor hatte sich Geröll aufgehäuft.
In der Fernsehwerbung pflegten Autos größere Hindernisse als dieses da zu überwinden. In einem dieser Werbespots wurden Filmausschnitte gezeigt, in denen ein Wagen über Gräben sprang, über Böschungen hinwegflog, und der Kommentator behauptete, daß der Wagen nicht besonders frisiert sei …
Würde es sein Wagen schaffen?
Hatte er eine andere Wahl? Der Abhang kam ihm meilenweit vor. Tim stieg wieder ein und fuhr ein paar Meter zurück. Er überdachte die Situation. Wenn der Wagen über die Kante abkippte, würde er auf dem Kühler landen, und das war tödlich. Er mußte es waagerecht schaffen, und das hieß Tempo. Wenn er zu zimperlich vorging, war dies der sichere Tod.
Er zog die Bremse an und ging noch einmal zur Kante vor.
Sollte er Eileen wecken? Doch was hätte das genützt? Scheinwerfer, die hinter ihm in der Dämmerung auftauchten, brachte die Entscheidung. Er wußte nicht, wer hinter ihm herfuhr, und er wollte es auch nicht wissen. Während er zum Wagen zurückging, stellte er eine Art Gleichung auf: Länge des Wagens: etwa 3 Meter. Sollte das Vorderteil um nicht mehr als einen halben Meter abkippen, bevor das Hinterteil von der Straße abhob und ebenfalls zu fallen begann, dann würde der Wagen in etwa einer Drittelsekunde drüben sein, das bedeutete eine Geschwindigkeit von fünf Metern in der Drittelsekunde oder 15 Meter pro Sekunde, das waren etwa 55 Kilometer in der Stunde, also mußte eine Geschwindigkeit von 55 Kilometern pro Stunde ausreichen, und … LOS!
Der Wagen stürzte etwa zwei Meter tief ab. Sein Instinkt sagte ihm, daß er auf die Bremse steigen müßte, aber erhielt sich zurück. Der Wagen prallte hart auf, landete im Geröll und kletterte über die Böschung auf die Straße hinauf. Und das war dann auch alles. Sie rollten weiter, als wäre nichts geschehen.
Eileen machte einen Satz und fiel hart in den Sicherheitsgurt.
Sie schüttelte sich, setzte sich halb auf und schaute benommen hinaus. Draußen flog die regennasse Landschaft vorüber. Sie blinzelte und schlief mit einem Seufzer der Erleichterung wieder ein.
Sie hat das größte Husarenstück verschlafen, das ich je fertig gebracht habe, dachte Tim. Er grinste in den Regen und in den Schlamm hinaus, dann brachte er den Motor auf Touren.
Eine Stunde später schlief Eileen immer noch. Er beneidete sie.
Er hatte davon gehört, daß es Leute gab, die die meiste Zeit verschliefen, schockiert oder vom Leben enttäuscht. Er konnte eine solche Verlockung sehr gut verstehen. Doch bei Eileen war das anders, sie brauchte einfach ihren Schlaf. Schließlich war sie stets da gewesen, wenn Not am
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