Luzifers Kathedrale
du mir glauben. Habe ich Beweise? Nein. Was hätte ich den Polizisten denn sagen können? Nichts, gar nichts, Lena. Sie brauchen Beweise. Verdächtigungen und Annahmen sind für sie unwichtig. Andere, die es viel besser wissen müssen als ich, die hätten die verdammte Wahrheit sagen müssen. Aber sie haben es nicht getan. Sie haben Angst. Sie kennen die Vergangenheit genau und richten sich danach. Sie halten alle zusammen. Du darfst zudem nicht vergessen, dass auch ich aus Lyness stamme. Ich wäre doch als Verräter an den Pranger gestellt worden. Niemand hätte von uns je noch einen Brotkrumen angenommen. Genau so musst du das sehen, Lena. Mehr kann ich auch nicht sagen.«
»Dann bleibt alles so wie es ist – oder? Jeder macht einen Bogen um die Kathedrale oder schnitzt noch eine Warnung in die Tür.«
»Ja, so ist es. Damit haben schon andere gelebt. Wir werden es auch müssen.«
»Schrecklich stelle ich mir das vor«, flüsterte Lena. »Da habe ich den Eindruck, kein Mensch mehr zu sein. Da kann ich mich auch gleich einreihen in unsere Schafsherde. Wirklich, Julian, das kann nicht so weitergehen. Du hast dieses Wesen gesehen. Was ist denn, wenn es die Kirche plötzlich verlässt und uns Menschen angreift?«
»Das wird es nicht.«
»Bist du sicher?«
Die bohrenden Fragen seiner Frau gefielen Julian nicht. Er wollte nicht mehr reden, stand auf, schob den Stuhl zur Seite und zog die Strickjacke von der Lehne. Dass seine Tasse noch halb mit Kaffee gefüllt war, störte ihn nicht.
»Willst du weg?«
»Ja.«
Auch Lena blieb einsilbig. Sie riss sich zusammen, um das Zittern in der Stimme nicht durchklingen zu lassen. »Wohin?«
»Zu den Schafen.«
»Und dann?«
»Mal sehen.«
Lena McBell legte die Hände zusammen. »Bitte, Julian, mach keinen Fehler, ich flehe dich an. Bring dich nicht unnötig in große Gefahr. Tu mir den Gefallen.«
Julian McBell hatte schon gehen wollen. Jetzt drehte er sich noch mal um und schaute seine Frau an. Plötzlich schalt er sich einen Narren, so gehandelt zu haben, und er zeigte mit einem Lächeln sein Einverständnis. »Du brauchst wirklich keine Sorge zu haben, Lena. Du musst dich nicht aufregen, aber manchmal muss man Dinge tun, die über das Normale hinausgehen. Verstehst du?«
»Nein.«
Er stützte seine Hände auf die nahe Stuhllehne. »Etwas kommt auf uns zu, Lena.«
»Was denn?«
»Ich kann es dir nicht sagen.« Er deutete auf seine Brust. »Mein Gott, das steckt hier fest. Ich lebe in der Natur, und das schärft den Blick eines Menschen. Ich spüre dieses Unheilvolle, Bedrohliche, und ich möchte es stoppen, bevor es uns überfällt und mit in den Abgrund reißt. Dich, mich und die anderen Menschen.«
»Du willst es stoppen?«, flüsterte sie. »Du allein?«
»Einer muss ja den Anfang machen.«
»Aber nicht du!«, rief sie.
»Wer denn?«
Lena wusste darauf keine Antwort. Zwischen dem Ehepaar entstand eine Schweigepause, die Julian nutzte und die Küche verließ. Er hatte keinen Blick für die aufgestellten Weihnachtsengel und die Lichtgirlande über der Tür, seine Gedanken drehten sich um andere Dinge, und die hatten nichts mit Weihnachten zu tun.
Er ging in das Schlafzimmer. Dort stand das Doppelbett aus Kirschenholz. Aus dem gleichen Material bestand auch der Schrank. Beides stammte von Lenas Eltern. Sie mochten das Zimmer, dessen Holz noch echt war und Generationen aushalten würde.
Auch daran dachte der Mann nicht. Er trat an seine Bettseite heran und reckte sich zur Mitte der Wand.
Dort hing das alte Kreuz!
Ein Pfarrer hatte es ihm geschenkt. Es war aus knotigem Wurzelholz gefertigt und sollte sogar geweiht worden sein. Julian war kein besonders gläubiger Mensch und hatte es nicht mit in die Ehe bringen wollen, doch seine Frau hatte darauf bestanden, und sie hatte ihm auch seinen Platz im Schlafzimmer gegeben.
Er nahm es von der Wand ab und schaute für einen Moment auf den Abdruck, den es hinterlassen hatte.
»Was willst du denn mit dem Kreuz?«
Julian zuckte leicht zusammen, als er die Stimme seiner Frau von der Tür her hörte. »Ich nehme es mit«, sagte er.«
»Warum tust du das?«, fragte Lena.
Der Schäfer schaute auf das Kreuz. »Reine Gefühlssache. Mit irgendwas muss man das Böse ja bekämpfen, denke ich. Und ein Kreuz kann niemals schaden.«
Sie räusperte sich. »Das ist wohl wahr. Nur... nur... ist es denn so schlimm?«
»Ich weiß es nicht, Lena.«, gab er zu. »Aber ich fühle mich sicherer, wenn ich es bei mir habe.«
»Du
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