Luzifers Kathedrale
willst also doch in die Kathedrale gehen?«
Er zuckte nur die Achseln, hatte aber nichts dagegen, dass seine Frau ihn umarmte.
Wenig später schaute Lena ihm nach und flüsterte: »Bitte, Lieber Gott, lass alles gut werden...«
***
Mit zielstrebigen Schritten marschierte der Schäfer in Richtung Kathedrale. Das Kreuz hatte er in seiner gefütterten Jacke versteckt. Es passte zwar nicht ganz in seine Innentasche und schaute zur Hälfte hervor, aber das machte ihm nichts aus. Es gab ihm eine gewisse Sicherheit, die er jetzt brauchte, aber auch die dicke Jacke war wichtig, denn die Sonne war bereits auf dem Weg, sich zu verabschieden. Außerdem hatte der Nordwind zugenommen und biss jetzt in sein Gesicht.
Das schnelle Laufen strengte ihn zwar nicht unbedingt an, doch er kam schon aus der Puste. Tief in seinem Innern meldete sich auch das schlechte Gewissen, denn eigentlich hätte er sich um seine Schafe kümmern müssen, um nachzusehen, ob sie den Orkan der vergangenen Nacht überstanden hatten.
Der Gedanke brachte ihn dazu, langsamer zu gehen. Er überlegte, ob er alles richtig gemacht hatte. War es wirklich besser gewesen, sich allein auf den Weg zu machen, um zu versuchen, eine Antwort auf das Grauen der Nacht zu finden? Hätte er nicht besser bei seiner Frau bleiben sollen, um einfach nur abzuwarten?
Das wären Alternativen gewesen. Nur gehörte Julian McBell nicht zu den Menschen, die es sich leicht machten und alles auf sich beruhen ließen. Er war ganz anders gestrickt. Sein Job hatte ihn zwar zu einem Einzelgänger werden lassen, was aber nicht ausschloss, dass er sich um bestimmte Vorgänge auch Gedanken machte. Er hatte Zeit genug. Er war nicht oberflächlich, er putzte die Probleme nicht einfach weg. Er war auch nicht so stur wie viele andere Inselbewohner. McBell las viel, machte sich seine Gedanken um Gott und die Welt und jetzt auch um das, was auf der anderen Seite stand, um den Teufel.
Er hatte etwas gesehen, das mit dem normalen Verstand nicht zu fassen war. Und das in einem Haus, dass mal dem Herrn geweiht worden war. Das konnte er vergessen. Inzwischen hatten andere Mächte die Kontrolle übernommen.
Warum, weshalb, wieso?
Genau diese Fragen beschäftigten ich. Es mussten Antworten her. McBell fühlte sich dafür verantwortlich, auch wenn ihm keiner einen Auftrag gegeben hatte.
Es war eine Bedrohung. Und die musste er von seiner Familie und auch von den anderen Menschen fern halten.
Er schlug den Kragen hoch. Der kalte Wind kam von der Seite. Er hätte ihm die Ohren abgebissen, wären sie nicht durch die Klappen mit Schafsfell geschützt worden.
Ein grauer Wintertag umgab ihn. Auch die absinkende Sonne gab nicht mehr viel Licht ab. Im Hintergrund lauerte schon die Dämmerung. Wenn sie eingetreten war, würden die Temperaturen noch weiter in den Keller fallen.
Dunkle Nächte. Zeiten, in denen die Menschen die Lichter anzündeten, um ein wenig Helligkeit zu genießen. Hier oben wurde es im Winter schneller finster als im Süden.
Der Boden war gefroren. Fast so hart wie die zahlreichen Steine, die herumlagen. Das struppige Gras zeigte eine tote Farbe. Es war kaum vorstellbar, dass es wieder grünen würde, doch der Frühling würde kommen, das war sicher. Es fragte sich nur, ob ich ihn noch erleben werde. So dachte der Schäfer, denn er hatte nicht vergessen, wie gefährlich der Angriff in der Kirche gewesen war.
Er hatte den kürzesten Weg genommen, um sein Ziel zu erreichen und war etwas auf der Höhe geblieben. Von dort aus hatte er den besten Überblick. Er wollte den Bau zunächst aus sicherer Entfernung beobachten, als er seine Pläne schlagartig änderte. Es war etwas eingetreten, womit er nicht gerechnet hatte.
Die Kathedrale mit ihren zahlreichen mehr oder minder kleinen Türmen und auch den Figuren auf dem Dach stand noch immer an der gleichen Stelle. Dennoch kam sie ihm vor, als wäre sie verschoben worden. Das Umfeld stimmte nicht mehr, und mit einer derartigen Entdeckung hatte er nicht gerechnet.
Vor der Kirche parkte ein Auto – ein Jeep!
McBell wischte über seine Augen. Er dachte zunächst an eine Täuschung, aber das war keine. Nein, er irrte sich nicht. Vor der Kirche stand der Wagen, und er war sicher, dass man ihn nicht einfach nur so abgestellt hatte.
Von diesem Moment an merkte er die Kälte nicht mehr. In seinem Innern schlug etwas an. Er begann zu schwitzen. Es lag an der Aufregung, die ihn regelrecht überfallen hatte.
Jemand hatte die Kathedrale besucht.
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