LYING GAME - Mein Herz ist rein: Band 3 (German Edition)
lustig machten. Sie hatte die Liste in ein kleines Notizbuch geschrieben, das sie immer bei sich trug, als sei sie eine Touristin, die ihren Sprachführer in der Tasche hat. Allerdings hatte Emma noch nie den Mut aufgebracht, ihre schlagfertigen Erwiderungen auch zu benutzen. Sutton wäre da sicher anders gewesen.
Plötzlich fiel Emma am Ende des Flurs etwas auf. Ein langer Tisch war zwischen den Türen aufgebaut worden, und davor standen einige Schüler Schlange, um etwas zu unterzeichnen. Die Menge teilte sich, und Emma erkannte Laurel und Madeline, die auf Stühlen saßen und schwarze T-Shirts mit weißem Schriftzug auf der Brust trugen. Emma kniff fassungslos die Augen zusammen. Dort stand Freiheit für Thayer .
Emma gab ihrer Neugier nach und ging zum Tisch. »Oh, hallo, Sutton«, sagte Madeline mit zuckersüßer Stimme. »Wir sind gleich fertig, dann können wir essen.«
»Was ist das?«, fragte Emma und deutete auf das Blatt, auf dem ihre Mitschüler unterschrieben hatten.
»Ach, nichts.« Laurel nahm das Klemmbrett einem Baseballspieler weg, der es gerade unterzeichnet hatte, und bedeckte es mit der Hand. »Das interessiert dich sicherlich nicht.«
»Es sollte sie aber interessieren«, sagte Madeline halblaut. »Schließlich ist sie daran schuld, dass er in der Bredouille steckt.«
Madeline schob Emma das Klemmbrett zu. »Petition für die Entlassung von Thayer Vega«, stand oben auf dem Blatt. Dutzende Schüler hatten bereits ihren Namen in die Liste eingetragen. Es gab auch einen Pappkarton mit der Aufschrift »Spende für die Kaution«, in dem Ein-, Zwei-, Fünf-, Zehn- und sogar ein paar Zwanzigdollarscheine lagen.
»Willst du auch was spenden, Sutton?«, säuselte Madeline mit scharfem Unterton. »Fünfzehntausend Dollar sind viel Geld und wir können jeden Beitrag gebrauchen. Thayer darf auf keinen Fall noch einen Monat im Knast sitzen, das hält er nicht durch. Wir müssen ihn früher rausholen.«
Emma leckte sich über die Lippen. Das Einzige, was sie gerade davon abhielt, völlig durchzudrehen, war die Tatsache, dass Thayer bis zu seiner Anhörung in Untersuchungshaft bleiben würde. Aber das konnte sie Madeline und Laurel ja nicht gut sagen. Sie fragte sich, was passieren würde, wenn sie morgen mit einem »Thayer hat vielleicht meine Zwillingsschwester umgebracht«-T-Shirt in der Schule auftauchen würde.
Emma blickte auf und sah, dass Laurel sie böse anstarrte. Sie dachte daran, was Mrs. Mercer gesagt hatte – dass Sutton keine besonders umgängliche Schwester für Laurel sei. Emma wünschte, sie wüsste, warum genau Thayers Rückkehr ihre Schwester so wütend gemacht hatte. Lag es daran, dass Thayer in Suttons und nicht in Laurels Zimmer geklettert war? War Laurel deshalb eifersüchtig, oder wusste sie, dass Thayer in Sutton verliebt gewesen war? Vielleicht glaubte sie, Sutton habe ihn ihr ausgespannt?
Es konnte aber auch sein, dass Laurel wegen etwas ganz anderem wütend war – und Emma keine Ahnung hatte, worum es sich handelte.
Gott sei Dank erschien in diesem Augenblick Charlotte und bewahrte Emma davor, sich eine dumme Ausrede überlegen zu müssen, die Petition nicht zu unterschreiben. Sie legte Emma den Arm um die Schultern. »Los, Mädels. Auch Aktivistinnen müssen essen«, sagte sie laut und winkte Laurel und Madeline zu. »Ich habe unseren Lieblingstisch für uns reserviert.«
Achselzuckend schoben Madeline und Laurel die Petitionen und Plakate in ihre Taschen zurück und standen auf. Wortlos führte Charlotte sie zu einem Holztisch im großen Außenbereich der Cafeteria. Wüstenblumen blühten um sie herum, und Kolibris huschten zu den kleinen gänseblümchenförmigen Futterstationen, die um den Hof verteilt waren. An einem Nebentisch kicherten ein paar Mädchen in Marschkapell-Uniformen über ein Bild auf einem iPad. Stämmige Neuntklässler bewarfen sich mit Trinkhalmhüllen. Ein paar unglaublich dünne Mädels saßen vor der verputzten Mauer und aßen winzige Portionen Joghurt.
Eine Lachsalve dröhnte durch die angespannte Stille, und als Emma sich umdrehte, sah sie die Twitter-Zwillinge auf sie zukommen. Gabby trug Caprihosen und ein dazu passendes Stirnband. Ein winziges Stückchen Koralle an einer zarten Kette lugte zwischen den Perlmuttknöpfen ihres limettengrünen Poloshirts hervor. Lili hingegen sah aus, als habe sie Courtney Loves Schrank geplündert. Sie trug einen ultrakurzen Schottenrock, der von unzähligen Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurde,
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