LYING GAME - Mein Herz ist rein: Band 3 (German Edition)
existierte?
Zum gefühlt tausendsten Mal fragte sich Emma, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sutton und sie gemeinsam aufgewachsen wären. Wären sie Freundinnen gewesen? Hätten sie sich dabei geholfen, Beckys manische Phasen zu überstehen? Wären sie gemeinsam in Pflege gekommen oder getrennt worden?
Ich fragte mich dasselbe. Wenn ich mit Emma aufgewachsen wäre, einer Zwillingsschwester, die auf mich aufpasste, wäre ich dann noch am Leben?
Mrs. Mercer holte sich ebenfalls einen Liegestuhl, ließ sich hineinsinken und verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf. »Kann ich dich was fragen, ohne dass du mir gleich den Kopf abreißt?«
Emma erstarrte. Sie hatte eigentlich genug von Nachforschungen, dafür hatte Quinlan gesorgt. »Äh, okay?«
»Was ist los zwischen dir und deiner Schwester?« Mrs. Mercer lehnte sich weiter zurück. »Seit … seit Freitagabend ist die Stimmung zwischen euch beiden noch schlechter als sonst.«
Emma wandte den Blick vom Himmel ab und starrte auf ihre Fingernägel. »Ich wünschte, ich wüsste es«, sagte sie mit verzagter Stimme.
»Letzte Woche habt ihr euch so gut verstanden«, sagte Mrs. Mercer leise. »Ihr wart zusammen auf dem Ball, habt euch während des Essens unterhalten und euch nicht wie sonst wegen dummer Kleinigkeiten gestritten.« Sie räusperte sich. »Bilde ich mir das nur ein, oder haben sich die Dinge zwischen euch geändert, weil Thayer in deinem Zimmer aufgetaucht ist?«
Emmas Haut kribbelte, als sie Thayers Namen hörte. »Vielleicht«, räumte sie ein. »Ich glaube, sie ist … irgendwie sauer. Aber ich habe ihn an dem Abend nicht herbestellt.«
Mrs. Mercer saugte an ihrer Unterlippe. »Weißt du, Sutton, Laurel liebt dich. Aber du bist nicht gerade eine einfache große Schwester.«
»Was meinst du damit?«, fragte Emma, überkreuzte die Beine und rutschte näher zu Mrs. Mercer. Eine steife Brise zerzauste ihr das Haar und ließ ihre Nase taub werden.
Ja, Mom , dachte ich empört. Was hast du damit gemeint?
»Na ja, du bist schön, klug und alles scheint dir nur so zuzufliegen. Freunde, Verehrer, Tennis …«
Mrs. Mercer beugte sich vor und strich Emma eine Haarsträhne aus der Stirn. »Thayer mag ja Laurels bester Freund gewesen sein, aber es war nicht zu leugnen, wie er dich angesehen hat.«
Emma stockte der Atem. Wusste Mrs. Mercer etwas über die Beziehung zwischen Sutton und Thayer?
»Und … wie hat er mich angesehen?«
Mrs. Mercer musterte Emma einen Moment lang mit ausdrucksloser Miene. »Als würde er alles dafür geben, mit dir zusammen zu sein.«
Emma wartete, aber ihre Mutter sprach nicht weiter. Emma war das alles viel zu vage, aber sie konnte schließlich nicht fragen: Sag mal, hatte ich eigentlich eine heimliche Affäre mit Thayer? Und hältst du es für möglich, dass er die Beherrschung verloren und mich umgebracht hat?
Ein wehmütiges Lächeln umspielte Mrs. Mercers Lippen. »Genauso hat mich dein Vater früher auch angesehen.«
»Mom! Hör auf!« Emma verzog angeekelt das Gesicht, weil sie wusste, dass Sutton so reagiert hätte. Aber insgeheim gefiel es ihr, dass Mrs. Mercer ihr erzählte, wie Mr. Mercer für sie geschwärmt hatte. Es war schön, etwas über zwei Erwachsene zu hören, die sich liebten, zwei Eltern, die Kinder wollten und alles in ihrer Macht Stehende taten, um diesen Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Solche Menschen existierten in ihrem alten Leben nicht.
»Was ist?« Mrs. Mercer legte sich mit einem Unschuldsblick die Hand auf die Brust. »Wir waren auch mal so jung wie du. Vor vielen, vielen Jahren.«
Emma betrachtete Mrs. Mercers frisch gefärbtes Haar und die vielen Fältchen, die ihre Augen umkränzten. Sie hatte herausgefunden, dass Suttons Eltern ihre Schwester erst mit Ende dreißig adoptiert hatten, als sie schon beinahe zwanzig Jahre verheiratet gewesen waren. Das war ein enormer Kontrast zu Becky, die Emma gegenüber immer damit angegeben hatte, wie »jung und cool« sie sei, weil sie nur siebzehn Jahre älter war als Emma. Was dazu führte, dass Emma sie eher als wilde große Schwester und nicht als Mutter betrachtet hatte.
»Bist du froh darüber, dass du erst spät Kinder bekommen hast?«, fragte Emma ohne weiter nachzudenken.
Mrs. Mercers Miene war plötzlich angespannt. Im Baum neben ihnen hämmerte ein Specht und eine Wolke schob sich über den Mond und verdunkelte die Nacht. Schließlich holte sie tief Luft. »Ich weiß nicht, ob froh das richtige Wort ist. Aber ich bin jeden Tag
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