LYING GAME Und raus bist du
lehnte sich an die Wanne und drehte Suttons Medaillon zwischen den Fingern.
Ich war verwirrter als je zuvor. Was hier abging, war genau wie ein Schlammbad. Je tiefer meine Schwester eintauchte, desto dunkler und schmutziger wurde alles um sie herum.
23 – Da war jemand ein böses, böses Mädchen
»Deshalb musste Medea ihre Kinder töten, versteht ihr?«, erklärte Mrs Frost den Schülern am Dienstag. Sie marschierte durch das Klassenzimmer, als sei sie eine Anwältin, die um das Leben eines unschuldigen Justizopfers kämpft. »Nur so konnte sich Medea an ihrem Ehemann Jason für dessen Untreue rächen.«
Alle Schüler schrieben eifrig mit. Auf einmal merkte Emma, dass in ihrer Tasche etwas vibrierte. Sie schob langsam die Hand hinein, bis sie ihr iPhone spürte. Ihr war jede Ablenkung von Mrs Frost besessener Medea-Verteidigung recht. Irgendetwas an der Leidenschaft, mit der die Englischlehrerin ihre Interpretation vortrug, ließ sie den Verdacht schöpfen, dass Mrs Frosts Ehemann es mit der Treue ebenfalls nicht so genau nahm.
»Miss Mercer?«, zischte eine Stimme. Emma sah auf und sah Mrs Frost vor ihrem Pult stehen. Sie drohte Emma mit ihrer zerlesenen Medea-Ausgabe. »Lassen Sie sofort das Handy fallen, sonst ist es bis zum Ende des Schuljahres beschlagnahmt.«
Emma hob die leeren Hände hoch. »Ich ergebe mich.«
Alle kicherten.
Zum Glück klingelte es in diesem Augenblick, und Englisch war die letzte Stunde des Tages gewesen. Emma flüchtete auf den Flur und schaute auf dem Display nach, wer angerufen hatte. Sogar jetzt noch hoffte sie, trotz allem, was sie inzwischen wusste, bei jedem Anruf insgeheim, er brächte ihr eine Nachricht von Sutton.
Aber es war nur eine E-Mail von Suttons Mom. Menü für die Geburtstagsparty stand in der Betreffzeile. Emma s cannte die Liste: Rohkost, Häppchen und Desserts. »Sieht gut aus«, tippte sie, aber dann sah sie die Karottentörtchen. Emma fand Karottenkuchen eklig, die Rosinen darin erinnerten sie immer an Wüstenrennmaus-Kot. Mach Rote Samttörtchen daraus, tippte sie schnell.
Auf den Fluren wimmelte es von Schülern, die ihre Schließfächer ausräumten, und Sportlern, die zum Training eilten. Ein paar Mädchen, die Emma nicht erkannte, standen flüsternd in der Ecke bei der Pokalvitrine. Emma sah sich hastig um. Jedes Mal, wenn sie blondes Haar wie Laurels oder eine schlanke Gestalt wie Madelines sah, verkrampfte sich ihr Magen. Sie war Suttons Freundinnen und ihrer Schwester den ganzen Tag lang ausgewichen. S ie hatte behauptet, sie müsse an einem Fotoprojekt arb eiten – »Willst du wieder alle Jahrbuchfotos mit Schnurrbärten verzieren?«, hatte Charlotte gewitzelt –, und ignorierte all ihre frechen SMS und Mails. Bei der Vorstellung, ihnen jetzt begegnen zu müssen, bekam sie Juckreiz am ganzen Körper. Warum hatte Laurel Suttons Medaillon getragen? Und warum hatte Madeline das Foto gemacht? War es eine Art Trophäe?
Emma ging ins Mädchenklo, um sich ein bisschen Wasser ins Gesicht zu spritzen. Als sie nach einem Papiertuch griff, legte sich ihr eine Hand auf die Schulter. Sie schrie auf und drehte sich um.
»Gott.« Nisha stand neben ihr vor dem Waschbecken und hielt sich schützend die Hand vors Gesicht. »Bist ganz schön schreckhaft heute.«
Emma wandte sich wieder dem Waschbecken zu und drehte mit zitternden Fingern den Wasserhahn zu. »Hallo. Was gibt’s?«
Nisha strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Hast du es schon vergessen?«
»Was vergessen?«
Nishastemmte die Hände in die Hüften und schaute Emma verächtlich an. »Dass wir die Spinde dekorieren müssen? Weil das die Mannschaftskapitäne jedes Jahr machen?«
Emma blinzelte. Woher hätte sie das wissen sollen?
»Uff«, grunzte Nisha frustriert. »Weißt du, einige Leute haben nicht ständig Zeit, alles alleine zu erledigen. Manche Leute müssen sich fürs College bewerben.«
Emma richtete sich kerzengerade auf. »Ich will auch studieren«, sagte sie empört. »Und zwar an der USC .«
Nisha wartete noch einen Moment lang vergeblich auf die Pointe. Dann lachte sie lauthals los. »Das ist das Lustigste, was mir heute zu Ohren gekommen ist.«
Sie schob die Tür auf und ging den Flur in Richtung der Sport-Umkleideräume entlang. Emma folgte ihr. Nisha lief schnell. Ihr Pferdeschwanz wippte im Takt ihrer Schritte, die Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Die Mädchen eilten die Treppe hinunter und passierten Jason und Kendra, das picklige Liebespaar, das ständig in der
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