LYING GAME Und raus bist du
tat.
Suttons Mom verließ das Zimmer wieder, aber Laurel blieb. Emma strich sich das Haar hinter die Ohren. Adrenalin strömte durch ihre Adern, und ihre Hände begannen zu zittern. Sie konnte nur an das Foto denken, auf dem Laurel Suttons Halskette trug. »Was willst du?«, fragte sie.
»Bist du fertig? Wir wollten uns heute bei Mr Pinky die Nägel machen lassen.« Laurel verschränkte die Hände. »Natürlich nur, falls du noch Lust hast.«
Emma starrte mit leerem Blick auf den rosa gepolsterten weißen Kugelsessel in der Ecke. Er war immer noch mit den Bikinis und Socken bedeckt, die Sutton vor ihrem Tod dort hingeworfen hatte. Emma hatte es nicht übers Herz gebracht, die Sachen wegzuräumen. Nach Nishas rätselhafter Bemerkung gestern Abend hatte sie sich in Suttons Facebook-Profil eingeloggt und noch einmal Laurels Profil durchsucht. Emma hatte geglaubt, Laurel und Thayer seien nur Freunde. Sie hatte nicht geahnt, dass Laurel in ihn verliebt gewesen war. Aber als sie sich jetzt noch einmal die Fotos ansah, war es offensichtlich. In allen Gruppenfotos stand Laurel neben Thayer. Auf einem Bild, auf dem Thayer mit Charlotte lachte, lungerte Laurel im Hintergrund herum und schaute Thayer an. Es gab einen Link zu einem YouTube-Video, auf dem Laurel und Thayer bei einem Schulball Tango tanzten. Als Thayer Laurel tief hinunterbeugte, strahlte ein entzücktes, verzaubertes Lächeln auf ihrem Gesicht. Das Lächeln eines Mädchens, das mehr wollte als nur Freundschaft.
Aber im Mai, einen Monat vor Thayers angeblichem Ausriss, hörten die Pinnwandnachrichten zwischen ihnen abrupt auf. Es gab keine gemeinsamen Bilder mehr von Laurel und Thayer. Es war, als habe etwas – oder jemand – die beiden voneinander getrennt.
Spiel nicht die Unschuldige, Sutton, hatte Nisha gesagt. Du wusstest, dass sie in ihn verliebt war. Und dann war da noch Suttons Tagebucheintrag vom 17. Mai: L. ist immer noch total fertig wegen T. Reiß dich zusammen, du Weichei! Er ist bloß ein Typ! Offensichtlich stand T. für Thayer.
Aber Antworten hatte sie noch immer nicht. Schließlich hatte niemand aufgeschrieben, was genau eigentlich passiert war.
Ich hatte immer noch keine Erinnerung an diese Zeit. Ich hoffte, ich hatte meiner kleinen Schwester kein Leid zugefügt, aber ich wusste es wirklich nicht.
Emma beobachtete Laurel, die ein Fläschchen Parfüm von Suttons Kommode nahm und daran schnüffelte. Sie lächelte freundlich, als habe sie keine bösartige Zelle im Körper.
Emma dachte an den Origami-Kranich, den Laurel letzte Woche neben Emmas Teller gelegt hatte. Vielleicht zog sie auch die falschen Schlüsse. Nur weil Nisha gesagt hatte, Laurel habe sie umbringen wollen, bedeutete das noch lange nicht, dass sie es auch getan hatte. Leute sagen so etwas eben manchmal. Und vielleicht gab es einen guten Grund dafür, dass Laurel Suttons Medaillon auf dem Foto trug.
Dasselbe Medaillon, das nun um Emmas Hals hing.
»Ich zieh mir nur kurz Jeans an«, beschloss Emma.
Laurel lächelte. »Ich warte unten auf dich.« Auf halbem Weg zur Tür warf sie einen Blick aufs Bett, blieb stehen und riss die Augen auf. »Was ist das denn?«
Emma folgte ihrem Blick und geriet in Panik. Ihr Notizbuch lag aufgeschlagen auf dem Bett. Auf der ersten Seite stand in großen Buchstaben: Mädchen in Herrenhaus gewürgt. Hält Freundinnen für schuldig. Sie griff nach dem Notizbuch und bedeckte die Zeile mit der Hand. »Nur ein Projekt für die Schule.«
Laurel schwieg einen Moment lang. »Aber du machst doch nie Schulprojekte!« Sie schüttelte den Kopf und ging aus dem Zimmer. An der Treppe blieb sie stehen und warf Emma noch einen Blick zu.
Aus der Entfernung konnte ich nicht beurteilen, ob es ein fragender … oder ein drohender Blick war.
Mr Pinky war der Name eines kleinen Nagelsalons in den Hügeln. Er befand sich in einem Einkaufskomplex, in dem es außerdem noch einen Biojoghurt-Laden, eine ganzheitliche Betreuungseinrichtung für Katzen und eine Praxis gab, die für »Tiefenreinigende Einläufe – verlieren Sie drei Kilo in fünf Minuten« warb. Wenigstens hatte Laurel sie nicht dort hineingeschleppt.
Der Salon war eine Mischung aus edlem Spa und Raumschiff Enterprise . Alle Kosmetikerinnen trugen enge Overalls, die offenbar hochmodisch sein sollten, aber auf Emma so wirkten, als würden sie gleich alle ein Raumschiff besteigen und mit dem Nagelsalon zum Andromedanebel fliegen.
Emma und Laurel ließen sich auf eine schmale, graue Couch sinken und
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