LYING GAME Und raus bist du
hatte.
Nisha riss noch mehr Klebeband ab und hängte die nächsten Schilder auf. Emma wollte gerade die Spindtür schließen, als ihr etwas auffiel. Die Brusttasche der Nylonjacke war merkwürdig ausgebeult. Sie griff hinein und holte eine große, gefaltete Papierserviette heraus. Auf der Innenseite stand in schlampiger Jungenschrift: Hi Laurel! Darunter war ein betrunken schielender Smiley gezeichnet, der einen schaumigen Bierkrug hielt. Unterschrieben war das Werk mit Thayer .
»Was ist das?«
Emma wirbelte herum. Nisha stand direkt neben ihr und blies ihr ihren kalten Fisherman’s-Friend-Atem in den Nacken. Emma versuchte, die Serviette wieder zu falten, aber Nisha hatte die Worte bereits gelesen. »Du klaust deiner Schwester also auch die Post?«, fragte sie mit zusammengekniffenen Augen.
Emma blinzelte schnell. »Ich …«
Nisha schüttelte den Kopf. »Ich habe gehört, dass Laurel dich dafür umbringen wollte.«
»Mich umbringen?«, wiederholte Emma. Sie dachte an das Bild auf Madelines iPhone, auf dem Laurel Suttons Halskette trug. Nisha betrachtete sie lauernd. Ein winziges Glitzerstäubchen auf ihrer Wange funkelte im Licht der Deckenlampe. »Spiel nicht die Unschuldige, Sutton. Du wusstest genau, dass Laurel in ihn verliebt war.«
Emma machte den Mund auf. Aber bevor sie etwas sagen konnte, drehte sich Nisha auf dem Absatz um und ging zum Büro zurück. Sie hinterließ eine rote Glitzerspur.
Emma und ich blieben fassungslos zurück und hatten schon wieder ein neues Rätsel zu lösen.
24 – Glauben nicht alle Mädchen, ihre Schwestern wollten sie umbringen?
Am Mittwoch saß Emma nach einem wieder einmal schrecklichen Tennistraining auf Suttons Bett, Notizbuch und Stift gezückt. Top News: schrieb sie. Schwester versucht, Mörder ihres Zwillings zu finden. Stress bis zum Geht-nicht-mehr.
Sie ließ den Stift auf die Matratze fallen und schloss die Augen. Irgendwie hatte sie gehofft, es würde sie beruhigen, ihre Geschichte in Form einer Schlagzeile zu Papier zu bringen. Ihr eine neue Perspektive eröffnen. Aber auch schriftlich wirkte die Situation nicht normal, ganz im Gegenteil. Sie begann, stattdessen eine neue Liste mit Suttons Freundinnen und ihren potenziellen Mordmotiven zu schreiben. Inzwischen hatte sie bereits rund zehn Versionen der Liste verfasst, in Notizbücher gekritzelt, in Mülleimern versenkt, in Steno in Suttons iPhone getippt, was besonders ironisch war. Das Problem war, dass alle Mitglieder des Lügenspiel-Clubs ein Motiv hatten. Charlotte, dass Sutton ihr Garrett ausgespannt hatte. Laurel, dass Sutton … na ja, sie musste irgendetwas mit Thayer gemacht haben. War auch Madeline deshalb auf sie sauer?
Emmas altes Handy, das unter dem Bett versteckt war, piepte. Sie legte das Notizbuch beiseite und griff danach. Nach dem neuen iPhone, das sie seit einiger Zeit benutzte, wirkte ihr BlackBerry alt und schäbig. Es war, als sehe man einen Straßenköter, nachdem man eine Zeit lang nur mit Rassehunden spazieren gegangen war.
Alex hatte ihr eine SMS geschickt. Alles okay im Schwesternland?
Klar, schrieb Emma zurück. Sie hatte sich inzwischen an das Lügen gewöhnt. Sie und Alex hatten sich letzte Woche ein paar Mal geschrieben, und Emma hatte ihr nichts davon verraten, was hier wirklich los war. Alex’ Meinung nach wohnte Emma bei den Mercers und lernte ihre Schwester Sutton besser kennen, genau wie im Märchen.
Emma bekam sofort eine weitere SMS .
Was ist mit deinem Zeug im Bahnhofsschließfach? Holst du es ab, oder soll ich es dir per Post schicken?
Emma lehnte sich zurück und legte die Stirn in Falten. Sie hatte keine Ahnung, was sie mit den Sachen im Schließfach tun sollte – vor allem mit dem Geld. Lasse die Sachen erst mal dort , schrieb sie zurück.
In diesem Augenblick öffnete sich langsam die Zimmertür. Emma schob schnell den BlackBerry unter ihr Kissen. Laurel erschien im Türrahmen, Mrs Mercer neben ihr. Sie trug einen Wäschekorb in den Armen.
»Was machst du?«, fragte Laurel und kam ins Zimmer.
Emma stieg das Blut in die Wangen. »Hast du noch nie von Anklopfen gehört?«
Laurels Lächeln erstarb. »Sorry.«
»Sei nett, Sutton«, tadelte Mrs Mercer. Sie marschierte zu Suttons Kommode und legte einen Kleiderstapel neben den Fernseher. Darunter auch Emmas gestreiftes Kleid. Emma wollte sich bei ihr bedanken – es hatte schon seit Jahren niemand mehr für sie Wäsche gewaschen –, aber sie hatte das Gefühl, dass Mrs Mercer das wohl immer für Sutton
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