LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
dort: Bahnübergang bei der Kreuzung Orange Grove und Route 10. Beschrieben wurde der Vorfall weiter unten. S. Mercer … Gefährdung eines Fahrzeugs … entgegenkommender Zug. Sutton, Charlotte, Laurel und Madeline waren vernommen worden. Gabriella und Lilianna Fiorello wurden als Zeugen angeführt.
Gabby und Lili? Emma runzelte die Stirn. Warum waren sie dort gewesen?
Vor meinem Auge zuckte ein Blitz und ich spürte ein merkwürdiges Kribbeln. In der Ferne pfiff ein Zug gellend. Ich hörte Schreie, verzweifeltes Flehen und Sirenen.
Und mit einem Mal erinnerte ich mich wieder an jene Nacht.
7
Der ultimative Streich
Ich sitze am Steuer meines dunkelgrünen Volvo 122 von 1965. Meine Hände liegen locker auf dem mit Leder bezogenen Lenkrad und ich bediene leichten Fußes die Kupplung. Madeline sitzt auf dem Beifahrersitz und dreht an dem Sendersuchknopf des Hightech-Retro-Radios. Charlotte, Laurel und die Twitter-Zwillinge sitzen zusammengedrängt auf dem Rücksitz und kichern jedes Mal, wenn das Auto sich in eine Kurve legt und alle gegeneinandergedrückt werden. Gabby hält einen roten Lippenstift wie einen Zauberstab in der Hand.
»Schmier bloß keinen Lippenstift auf Floyds Ledersitze«, warne ich sie.
Charlotte kichert. »Ich finde es irre, dass du dein Auto Floyd nennst.«
Ich ignoriere sie. Dass ich mein Auto vergöttere, ist noch untertrieben. Mein Dad hat es vor ein paar Jahren auf eBay ersteigert, und ich habe ihm dabei geholfen, es zu restaurieren und wieder in voller Schönheit erstrahlen zu lassen. Wir haben die Beulen in der Karosserie ausgehämmert, den verrosteten Kühlergrill durch einen neuen aus glänzendem Chrom ersetzt, den Vorder-und Rücksitzen neue Bezüge aus weichem Leder verpasst und einen brandneuen Motor eingebaut, der wie ein zufriedener Puma schnurrt. Mir ist es völlig egal, dass Floyd keinen modernen Schnickschnack wie einen iPod-Adapter oder einen Parkassistenten hat – mein Auto ist einzigartig, klassisch und seiner Zeit weit voraus, genau wie ich.
Wir düsen an Starbucks und der Einkaufspassage voller Kunstgalerien vorbei, in der nur Rentner abhängen. Danach an den Sandplätzen, auf denen ich mit vier Jahren meine ersten Tennisstunden hatte. Der Mond ist genauso bernsteingelb wie die Augen des Kojoten, der letztes Jahr an unserem Zaun geschnüffelt hat. Wir sind auf dem Weg zu einer Verbindungsparty bei der Universität von Arizona, die bestimmt endgeil wird. Ich bin zwar mit Garrett zusammen, aber das bedeutet schließlich nicht, dass ich nie wieder einen scharfen Studenten anschmachten darf.
Madeline findet einen Sender, in dem Katy Perrys »California Gurls« läuft. Gabby quiekt und fängt an, mitzusingen. »Bäh! Mir hängt der Song total zum Hals raus«, stöhne ich und drehe das Radio leiser. Normalerweise macht mir Singerei nichts aus, aber heute Abend nervt mich was. Genauer gesagt zwei Personen.
Lili schmollt. »Aber letzte Woche hast du gesagt, Katy sei die Coolste, Sutton!«
»Katy ist Fisch von vorgestern«, sagte ich achselzuckend.
»Sie schreibt aber die besten Songs!«, winselt Gabby, dreht an ihren honigblond getönten Locken und verzieht die üppigen Lippen ebenfalls zu einem Schmollmund.
Ich wende den Blick einen Moment lang von der Straße ab und starre die Zwillinge wütend an. »Die schreibt sie aber nicht selbst, Leute. Das macht irgendein fetter Produzent Mitte fünfzig.«
Lili schaut mich entsetzt an. »Ehrlich?«
Am liebsten würde ich rechts ranfahren und die beiden rausschmeißen. Es geht mir ungeheuer auf die Nerven, dass die Twitter-Tussen ständig so dämlich tun. Letztes Jahr hatte ich einen Trigonometrie-Kurs mit den beiden, und sie sind bei Weitem nicht so dumm, wie sie aussehen. Jungs finden die Dummchen-Nummer vielleicht süß, aber ich falle nicht drauf rein.
Die Ampel wird grün, und mit einem satten Röhren schießt Floyd los, wirbelt eine Staubwolke auf und saust an den Wüstensträuchern vorbei. »Ich finde den Song gut«, bricht Mads das Schweigen und dreht das Radio wieder lauter.
Ich werfe ihr einen Blick zu. »Und was würde dein Dad dazu sagen, dass die Schlampe Katy zu deinen Vorbildern gehört?«
»Das wäre ihm egal«, sagt Madeline und versucht, ungerührt zu klingen. Sie kratzt an dem Schwanensee-Mafia-Aufkleber auf der Rückseite ihres Handys herum. Ich weiß nicht, was der Aufkleber zu bedeuten hat – das wissen wir alle nicht. Und Mads scheint das zu gefallen.
»Egal?«, wiederhole ich. »Dann lass uns
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