LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
doch Daddy anrufen und ihn selbst fragen. Dabei können wir ihn auch gleich darüber aufklären, dass du heute Abend einen College-Typen abschleppen willst.«
»Lass das, Sutton!«, knurrt Madeline und hält meine Hand fest, bevor ich nach meinem iPhone greifen kann. Mads lügt ihren Dad ständig an; wahrscheinlich hat sie ihm heute erzählt, dass sie lernen geht.
»Entspann dich«, sage ich und mein Handy bleibt weiter in der Mittelkonsole liegen. Madeline rutscht tiefer in ihren Sitz und macht ihr »Mit-dir-rede-ich-nicht-mehr«-Gesicht. Charlotte nimmt über den Rückspiegel Blickkontakt zu mir auf und ihre Augen sagen, ich solle den Mund halten. Madeline wegen ihres Dads aufzuziehen, ist wirklich unterstes Niveau, aber sie hat es verdient, weil sie die Twitter-Zwillinge heute Abend eingeladen hat. Eigentlich wollte ich nur die Mitglieder des Lügenspielclubs dabeihaben, aber irgendwie haben Gabby und Lili Wind von unseren Plänen bekommen, und Madeline hat es nicht übers Herz gebracht, sie abzuwimmeln. Ich spüre schon die ganze Fahrt über ihre bittenden Blicke im Rücken und ihre Wünsche und Hoffnungen hängen wie Sprechblasen über ihren Köpfen: »Wann lasst ihr uns endlich beim Lügenspiel mitmachen? Wann dürfen wir endlich zu euch gehören?« Es ist schon schlimm genug, dass meine kleine Schwester sich in unseren Club geschleimt hat. Neue Mitglieder wird es nicht geben, und schon gar nicht diese zwei.
Außerdem habe ich einen Plan für heute Abend – einen Plan, der Gabby und Lili eigentlich nicht einschließt. Aber schließlich ist Sutton Mercer ja flexibel.
Der nördliche Teil Tucsons ist nach zehn Uhr abends wie ausgestorben und außer uns ist fast niemand auf der Orange Grove Road unterwegs. Bevor wir auf die Autobahn einbiegen können, müssen wir über den Bahnübergang fahren. Das Hinweisschild leuchtet in der Dunkelheit. Als die Ampel grün ist, lasse ich Floyd langsam über die unebenen Schienen rollen. Aber gerade, als ich wieder beschleunigen will, säuft das Auto ab.
»Äh …«, murmele ich. »California Gurls« bricht ab, genau wie der kühle Luftzug aus der Klimaanlage. Die Lichter am Armaturenbrett erlöschen. Ich drehe den Zündschlüssel, aber es geschieht nichts. »Okay, Bitches. Wer hat Sand in Floyds Tank gefüllt?«
Charlotte gähnt übertrieben. »Der Streich ist von vorgestern.«
»Wir waren es nicht«, zirpt Gabby, die wahrscheinlich entzückt darüber ist, dass sie bei einem Gespräch dabei sein darf, das auch nur im Entferntesten mit dem Lügenspiel zu tun hat. »Wir haben viel bessere Streiche auf Lager. Falls ihr euch dafür interessieren solltet.«
»Langweilig«, sage ich und winke ab.
»Äh, ist euch aufgefallen, dass wir immer noch auf den Schienen stehen?« Madeline packt den Türgriff und schaut aus dem Fenster. Plötzlich beginnen rote Lichter zu blinken. Die Warnglocke ertönt und hinter uns senkt sich die gestreifte Schranke über die Straße, um alle Autos an der Ampel – von denen es um diese Zeit keine gibt – davon abzuhalten, auf die Gleise zu rollen.
Ich drehe noch einmal den Zündschlüssel, aber Floyd röchelt nur. »Was geht, Sutton?«, fragt Charlotte genervt.
»Alles im grünen Bereich«, murmele ich. Mein Volvo-Schlüsselanhänger wippt, als ich den Zündschlüssel wieder und wieder drehe.
»Na klar.« Der Ledersitz quietscht unter Charlottes Po. »Ich habe euch ja gesagt, dass wir nicht mit dieser Todesmaschine fahren sollen.«
In der Ferne blinkt das Licht eines herannahenden Zuges.
»Vielleicht machst du was falsch.« Madeline greift nach dem Zündschlüssel und versucht es selbst, aber das Auto röchelt nur noch einmal. Die Lichter am Armaturenbrett flackern nicht einmal.
Der Zug nähert sich. »Wenn er uns sieht, bremst er doch sicherlich«, sage ich. Das Adrenalin in meinen Adern lässt meine Stimme zittern.
»Der Zug kann nicht anhalten!« Charlotte schnallt sich ab. »Deshalb gibt es hier ja eine Schranke!« Sie rüttelt am Türgriff, aber die Tür bewegt sich nicht. »Jesus! Schließ auf, Sutton!«
Ich drücke auf den Türöffner – mein Dad und ich haben eine elektronische Zentralverriegelung und elektronische Fensterheber an allen vier Türen installiert –, aber das vertraute Geräusch, mit dem die Türen sich entriegeln, bleibt aus. »Äh …« Ich drücke wieder und wieder auf den Knopf.
»Geht das nicht auch von Hand?« Lili versucht, den Türknopf hochzuziehen, aber irgendetwas muss sich verklemmt haben.
Der Zug
Weitere Kostenlose Bücher