LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
verlegen auf. »Ich dachte, dein Interesse an Fahrzeugen beschränkt sich auf Volvos aus den 1960er Jahren?«
»Ach, ich habe kürzlich was über Motorräder gelesen«, log Emma schnell.
Eine ihrer Pflegefamilien, die Stuckeys, hatte ein Auto gehabt, an dem ständig irgendetwas kaputt gewesen war. Irgendwie war es plötzlich Emmas Job gewesen, das Ding zu reparieren. Sie hatte sich mit den Mechanikern der nächsten Tankstelle angefreundet, und die hatten ihr beigebracht, wie man einen Reifen wechselte, den Ölstand kontrollierte, verschiedene Flüssigkeiten nachfüllte und Teile aus-und einbaute. Lou, der Besitzer der Tankstelle, hatte eine Harley gehabt, und Emma hatte ihm zugesehen und manchmal geholfen, wenn er daran herumschraubte. Lou hatte sie sehr gemocht und sie als Schraubenschlüsselakrobat bezeichnet. Er sagte ihr, falls sie vorhabe, Mechanikerin zu werden, könne sie jederzeit bei ihm in die Lehre gehen.
Ich lächelte. Eine interessante Karriereoption. Aber es beeindruckte mich, wie patent sie war. Wie Ethan vor ein paar Tagen gesagt hatte, schien sie nichts zu überwältigen.
»Thayer hatte eine Honda, richtig?«, fragte Mr Mercer. »Bist du etwa mit ihm herumgefahren?«
Emma schwieg achselzuckend, aber ihre Haut begann zu kribbeln, als sie Thayers Namen hörte. Letzte Woche hatte sie herausgefunden, dass Laurel und Thayer befreundet gewesen waren. Aber Laurel hatte sich weit mehr als Freundschaft gewünscht. Doch Thayer hatte offenbar ein Auge auf Sutton geworfen.
Ich versuchte verzweifelt, mich daran zu erinnern, was Thayer mir bedeutet hatte. Ich sah immer wieder, wie wir beide zusammen im Schulhof standen, Thayer meine Hände ergriff und mit entschuldigender Stimme irgendetwas zu mir sagte. Daraufhin riss ich meine Hände weg und spuckte ihm mit kalter und höhnischer Stimme eine Antwort ins Gesicht. Aber dann löste sich die Erinnerung auf.
Mr Mercer ließ sich auf einen umgedrehten Bierkasten fallen. »Sutton … warum hast du heute gestohlen?«
Emma fuhr über den Schalthebel. Weil ich versuche, den Mörder deiner Tochter zu finden. Aber sie sagte nur: »Es tut mir echt leid.«
»War es vielleicht wegen … der Situation in der Familie?«, fragte Mr Mercer rau.
Emma blinzelte und sah ihn an. »Wie bitte?«
Plötzlich formte sich der Titel einer neuen Liste in ihrem Kopf: »Was unangenehm ist, wenn du in eine neue Familie kommst, die du eigentlich kennen solltest.« Vertrauliche Gespräche mit einem Vater, den sie erst vor zwei Wochen kennengelernt hatte, würde ganz oben stehen.
Mr Mercer schaute sie mit einem entnervten »Muss ich das jetzt wirklich erklären?«-Gesichtsausdruck an. »Ich weiß, dass das nicht leicht zu verdauen ist. Und ich weiß, dass du eine Menge … Veränderungen erfahren hast.«
Mehr als du ahnst , dachte Emma wehmütig.
Mr Mercer sah Emma vielsagend an. »Ich will wissen, was in dir vorgeht. Du kannst mit mir über alles reden, das weißt du, stimmt’s?«
Die Klimaanlage schaltete sich aus und ohrenbetäubendes Schweigen senkte sich über die Garage. Emma versuchte, die Fassung zu bewahren. Sie hatte keine Ahnung, was sie auf Mr Mercers Frage antworten sollte, und einen Moment lang war sie versucht, ihm einfach die Wahrheit zu sagen. Aber dann erinnerte sie sich an die Drohung von Suttons Mörder: Wenn du irgendjemand davon erzählst, dann bist du die Nächste.
»Okay … danke«, sagte Emma lahm.
Mr Mercer betrachtete die Schraubzwinge in seiner Hand. »Und du bist sicher, dass du nicht gestohlen hast, weil du … erwischt werden wolltest?«
Ich betrachtete die klaren, blauen Augen meines Dads und erinnerte mich plötzlich an streitende Stimmen und durch die Luft fliegende Anschuldigungen. Ich sah mich einen Wüstenpfad entlangrennen, hörte die wütende Stimme meines Vaters nach mir rufen und spürte Tränen auf meinen Wangen.
Als Emma nicht antwortete, brach Mr Mercer den Blickkontakt ab, schüttelte den Kopf und warf einen zusammengeknüllten gelben Lappen auf den mit Öl verschmierten Boden. »Ist auch egal«, murmelte er sichtlich frustriert. »Wirf den Müllsack einfach in den Container, wenn du fertig bist, okay?«
Er stand auf, verließ die Garage und schloss die Tür mit einem gedämpften Knall hinter sich. An ihrer Rückseite hing eine Korkpinnwand mit einem abgelaufenen Kalender, der Visitenkarte einer nahe gelegenen Werkstatt und einem Schnappschuss von Laurel und Sutton, die im Hintergarten standen und lächelten. Emma starrte das Foto
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