Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
Absicht.“
„Joli braucht einen Beweis, Herr“, schaltete sich Tremonde dazwischen. „Heutzutage sind die Menschen weder so leicht- noch so abergläubig wie in Ihren Zeiten.“ Tremonde erhob sich von seinem Drehstuhl, streifte die Jacke ab und knöpfte sein Hemd auf.
„Ich vertraue auf den gesunden Menschenverstand, und der sagt mir ...“ Joli hielt erschrocken die Luft an, als ihr Vater seine drahtige, abgemagerte Brust entblößte, aus deren Mitte ein funkelnder Kristall in der Farbe des Mondes aus dem fahlen Fleisch ragte. „Was ist das?“
Joli trat einen Schritt auf ihren Vater zu. Etwas Derartiges hatte sie nie zuvor gesehen. Vielleicht handelte es sich um eine Attrappe, also um einen Kunststein, der mit Theaterkleber an seiner Brust befestigt worden war. Dafür sah er jedoch zu echt aus. Vorsichtig streckte sie die Hand nach dem münzgroßen Stein aus, um herauszufinden, ob er tatsächlich mit Tremondes Körper verwachsen war. Dicke Adern hielten ihn in der menschlichen Haut gefangen. Als ihr Zeigefinger den Kristall berührte, leuchtete er in den grellsten Farben und blendete sie so stark, dass Joli gezwungen war, die Augen zusammen zu kneifen. Ein leiser Aufschrei entwich ihrer Kehle. Sie hatte das befremdliche Gefühl, der Stein sei lebendig. Aber das war völlig unmöglich. Steine besaßen keinen eigenen Willen. Sie konnten nicht glühen, wann es ihnen beliebte. Dieser Stein aber tat es. Er reagierte auf ihre Bewegung. Erschrocken wich sie zurück und stieß erneut gegen de Sagrais, der sich ihr wieder von hinten genähert hatte. Ihre Brille fiel herunter, sodass sie ihren Vater nicht mehr ganz scharf sehen konnte. Das Leuchten übertrug sich auf seine Brust, sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz.
„Er will sich lösen“, keuchte Tremonde.
„Doch es geht nur, wenn du einwilligst“, erklärte de Sagrais.
Jolis Augen weiteten sich in Panik. Sie verspürte den unwiderstehlichen Drang die Beine in die Hand zu nehmen und dieses Horrorhaus so schnell wie möglich zu verlassen.
„Sag, dass du die Verbindung eingehst“, flüsterte de Sagrais verführerisch in ihr Ohr.
Aber selbst die erotischste Männerstimme verlor in diesem Moment jegliche Überzeugungskraft. Joli bückte sich rasch nach ihrer Brille, stieß de Sagrais zur Seite und rannte zur Treppe, kletterte die Stufen hinauf und stolperte über den aufgerollten Teppich im Flur. Bei dieser halsbrecherischen Aktion knickte sie sich auch noch den Knöchel um. Ein heißer Schmerz breitete sich in ihrem Fuß aus. Sie hätte am liebsten geheult, aber selbst dafür blieb keine Zeit. Sie musste weiter. Sie biss die Zähne zusammen und hinkte zur Tür. In diesem Moment schoss ein Schatten an ihr vorbei und versperrte ihr den Weg in die Freiheit.
Erstarrt blieb Joli vor einem riesigen, schwarzen Hund stehen, der sie mit hellblauen Augen aufmerksam und erschreckend eindringlich anstarrte.
Dieses Wesen war ganz sicher kein Hund.
Sie hatte in ihrem Leben schon viele Hunde verschiedenster Rassen gesehen, aber keiner hatte ausgesehen wie dieses Tier. Sie schluckte, als ihr klar wurde, dass es sich um einen Wolf handelte. Um einen lebendigen, ausgewachsenen Wolf. Hier im Haus!
„Nein! Nein!“, stieß sie hervor und streckte abwehrend beide Arme aus, um das Tier auf Abstand zu halten.
Was nun geschah, stellte ihren Verstand auf die bisher härteste Probe. Der Wolf erhob sich auf die Hinterläufe und machte einige Schritte auf sie zu. Mit jedem Schritt nahm sein Körper menschlichere Formen an. Aus den Hinterpfoten wuchsen Zehen. Die vorderen Klauen verwandelten sich in Hände.
Joli stolperte zur Seite, da sie nicht in die Kellerluke stürzen wollte. Als sie plötzlich die Flurwand in ihrem Rücken spürte, fühlte sie sich in die Enge getrieben. Verdammt. Sie saß in der Falle.
Vor Angst bekam sie kein Wort heraus. Noch zwei Schritte und der Wolf, der Marquis, war bei ihr. Er baute sich bedrohlich vor ihr auf und sah sie mit seinen hellen Raubtieraugen gefährlich an. Er war nun völlig unbekleidet, doch dieses Mal löste sein Anblick keine hormonellen Glücksgefühle aus.
Während sie zitternd abwartete was nun passieren würde, machte sie sich Sorgen um ihren Verstand. Sie befürchtete, verrückt zu werden.
„Ich werde dir nichts antun“, beruhigte sie der Werwolf, aber Joli war zu panisch, um seine Worte zu verstehen.
Sie wollte nur so schnell wie möglich raus aus dieser verfluchten Villa.
„Es ist deine Pflicht!“, krächzte
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