Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
auf. Tremonde stand entweder unter dem Einfluss harter Drogen oder er war verrückt, vielleicht auch beides. Der Geisteszustand des Marquis, wenn er denn überhaupt diesen Titel inne hatte und dieser nicht auf einem Hirngespinst basierte, war ebenso unklar. Konntesie wirklich hier arbeiten? In einem Haus, in dem zwei Verrückte wohnten? Andererseits brauchte sie diesen Job.
„Ich werde dir beweisen, dass es wahr ist“, fuhr Tremonde fort. „Alles, was ich brauche, ist ein wenig Geduld von deiner Seite.“
Joli seufzte innerlich. Wieso lief es nie so, wie sie es sich erhoffte? An jedem noch so kleinen Glücksfetzen musste immer ein Haken hängen.
„Hör zu, Phillip, ich habe genug Sorgen. Ich werde hier meine Arbeit machen, mehr will ich nicht und das muss reichen. An welche Geschichten du glaubst, soll mir egal sein, so lange ich dadurch nicht mit dem Gesetz oder irgendwelchen obskuren Sekten in Konflikt komme.“ Sie erhob sich, denn sie wollte nicht länger in diesem modrigen Keller sitzen und sich Gruselgeschichten anhören, machte einen Schritt zurück und stieß gegen einen Widerstand.
„Immer wenn ich Sie sehe, haben Sie es eilig davonzulaufen“, drang eine tiefe Stimme mit einem leichten, französischen Akzent an ihr Ohr. „Das ist äußerst verdächtig.“
Joli blieb wie angewurzelt stehen. Erst nachdem sie sich von dem Schrecken erholt hatte, drehte sie sich um. Hinter ihr stand der Marquis de Sagrais. Wieder hatte er es geschafft, sich unbemerkt an sie heran zu schleichen. Er hatte sie zu Tode erschreckt.
„Machen Sie das nie wieder!“, sagte sie und wedelte mit dem Finger vor seiner Nase herum.
Er hob die Hände. „Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu erschrecken. Verzeihen Sie mir.“
Seine Worte klangen ehrlich. Ihre Vermutung, dass es ihm dennoch gefiel, sie aus der Fassung zu bringen, wurde durch sein leicht arrogantes Lächeln bestätigt. Eins musste man jedoch neidlos anerkennen. Er sah verdammt gut aus. Seine Haare waren schon wieder nass, vom Regen vermutete sie, und zu einem schwarzen, dicken Zopf gebunden, der bis zu den Schultern reichte. Seinen muskulösen Körper hatte er in eine schwarze Lederhose und in ein weißes Hemd schlüpfen lassen und das I-Tüpfelchen bildete ein dunkler Wildledermantel, dessen Saum den Boden streifte. Das Bild eines stürmischen Regentages drängte sich unwillkürlich auf. Hellblau und undurchsichtig strahlten seine Augen. Seine Haut war blass und das Gesicht aristokratisch geschnitten. Obwohl Koteletten nicht gerade Jolis Geschmack waren, musste sie feststellen, dass sie zum Typ des Marquis passten. Zumal sie nur bis zu den Kieferwinkeln reichten, anstatt in einen Bart überzugehen. Im Gegensatz zum letzten Mal war sein Kinn glattrasiert, die Ohren versteckten sich unter den locker zusammengebundenen Haaren, aber sie meinte kleine Spitzen zu erkennen, die zwischen den Strähnen hervorragten. Offenbar amüsiert über Jolis Reaktion vertiefte sich sein Lächeln.
„Ich wollte nicht gehen. Noch nicht. Zunächst möchte ich einen Ausflug in die Realität zurück machen und die geschäftlichen Dinge klären, wenn Sie nichts dagegen haben. Damit meine ich den Arbeitsvertrag, die Gehaltfrage und so weiter, Sie kennen das ja“, sagte Joli, entschlossen endlich Nägel mit Köpfen zu machen, bevor sie es sich noch einmal anders überlegte.
„Mademoiselle Tremonde ...“
„Frau Balbuk“, verbesserte Joli den Marquis, der ihren Einwand jedoch überhörte.
„Ich bin auf Ihre Mitarbeit und Ihre Hilfe angewiesen. Das hat Ihnen Ihr werter Vater doch bereits erklärt.“
„Dagegen habe ich auch nichts einzuwenden. Ich sagte ihm, dass ich immer vor oder nach der Arbeit in der Praxis vorbei komme, mich um Ihre Angelegenheiten kümmere und den Haushalt für Sie führe. Ich denke, das wären bis zu drei Stunden täglich.“
„Darum geht es nicht. Ich brauche Ihre Zusage, dass Sie eine Verbindung eingehen.“ Er sah sie eindringlich an.
Eine Verbindung. Unter normalen Umständen wäre sie über ein solches Angebot hocherfreut gewesen. In diesem Fall hatte sie jedoch das Gefühl, dass er sie einfach nur in Verlegenheit bringen wollte. Sie konnte sich zumindest beim besten Willen nicht vorstellen, dass er es ernst meinte. „Mit wem?“, fragte sie sicherheitshalber nach.
„Ich spreche vom Wolfsauge.“
„Ich wünschte wirklich, Sie würden aufhören, in Rätseln zu sprechen.“
„Verzeihen Sie, Mademoiselle, auch das war nicht meine
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