Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
gelassen hatte. Rücklings stürzte sie zu Boden. Ihre Schultern schlugen hart auf. Ein höllischer Schmerz brandete durch ihren Körper. Kleine Zweige und spitze Steine bohrten sich in ihren Rücken, was nicht unbedingt angenehmer war. Ihre Brille landete einige Meter entfernt neben dem nackten Fuß eines steinernen Engels. Joli blickte zu dem Wolf, der über ihr aufragte und dessen Augen gefährlich funkelten. „Ganz ruhig, ganz ruhig“, sagte sie, doch ihre Stimme klang alles andere als fest. Sie kroch wie ein Krebs zur Gruft.
Das Tier setzte zum Sprung an. Es drückte sich mit seinen kräftigen Hinterläufen vom Boden ab und sauste mit ausgestreckten Pranken auf sie zu.
Jolis Körper erstarrte. Für Sekundenbruchteile nahm sie alles in Zeitlupe wahr. Sie hörte ihren eigenen Schrei, hob abwehrend die Hände, kniff dabei die Augen zusammen und war bereit, ihrem Schöpfer gegenüber zu treten. Da zischte etwas mit einem spürbaren Luftzug dicht an ihr vorbei. Der erwartete Angriff blieb aus. Weder Zähne noch Klauen gruben sich in ihr Fleisch. Joli rollte sich zusammen und harrte einige Augenblicke in dieser Schutzhaltung aus, ehe sie sich in eine sitzende Position brachte. Vorsichtig öffnete sie die Augen.
Die Zeit verlief wieder im normalen Tempo. Sie sah sich irritiert um. Nur wenige Zentimeter von ihr entfernt steckte ein Bolzen im Boden. Wo war der Wolf? Sie hob den Kopf und entdeckte einen schwarzen, verschwommenen Fleck in der Ferne zwischen den Büschen, in die er sich geflüchtet hatte.
Rem trat neben sie. In der einen Hand hielt er die Armbrust, die andere reichte er ihr, um ihr aufzuhelfen. „Das war knapp“, sagte er nüchtern.
Joli zog sich an ihm hoch. Er musste bemerkt haben, dass sie ein wenig wackelig auf den Beinen war und führte sie zu der Bank, damit sie sich von dem Schrecken erholen konnte.
„Ich verstehe das nicht. Wölfe greifen normalerweise keine Menschen an. Die Geschichten über den bösen Wolf sind Ammenmärchen, die diesen Tieren das Leben schon seit Jahrhunderten schwer gemacht haben. Vielleicht hatte er die Tollwut, dass würde die Aggressivität erklären.“
„Sie.“
„Mh?“
„Ein weibliches Tier.“
„Bist du sicher?“
„Ja. Ich weiß woran man ein männliches von einem weiblichen Tier unterscheidet. Und ich dachte, du als Tierarzthelferin hättest damit auch keine Probleme.“ Er lächelte.
„Um ehrlich zu sein gingen mir andere Dinge durch den Kopf. Zum Beispiel wie ich sie davon abhalte, mir die Kehle durchzubeißen. Entschuldige, wenn ich dabei Details übersehen habe.“
„Wie dem auch sei, ich werde mir diese Dame genauer ansehen. Hier, halte das mal.“ Er drückte ihr seine Miniaturarmbrust in die Hand.
Joli betrachtete das Ding zweifelnd. Hoffentlich erwartete er nicht von ihr, dass sie damit auch noch schoss, sie hatte nämlich nicht die geringste Ahnung, wie man das machte.
„Falls unsere Freundin wieder auftaucht und ich nicht in der Nähe bin, spann den Bogen, leg den Bolzen auf die Schiene, ziele genau und drück ab.“ Er legte drei Bolzen neben sie auf die Bank.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann.“
„Nur Mut“, sagte er und zwinkerte ihr aufmunternd zu.
„Und was hast du jetzt vor?“
Er versteckte sich hinter dem steinernen Engel. Plötzlich sausten ihr seine Stiefel entgegen. „Ich ziehe mich aus.“
Sie schluckte. „Mitten auf dem Friedhof?“
„Ich würde mir nur ungern die Kleider ruinieren“, erklärte er. Auch wenn sie es nicht sehen konnte, hörte sie das Augenzwinkern aus seinen Worten heraus.
Joli konnte nicht glauben, dass er sich nun tatsächlich ausziehen wollte. Die Vorstellung, ihn ganz ohne Kleider zu sehen, wenn auch nur für einen kurzen Moment, brachte sie gänzlich durcheinander. Sie kniff die Beine zusammen, um das Prickeln zu unterdrücken, das sich in ihrem Schoss ausbreitete. Seine Jeans landete mit einem ebenso harten Aufprall neben seinen Stiefeln.
„Du ahnst nicht, wie lästig es ist, sich ständig neue Kleider kaufen zu müssen, wenn man sie nicht vor der Verwandlung auszieht. Und vor allem wie peinlich es ist, anschließend ohne Hose und Hemd dazustehen, weil sie nur noch aus Fetzen bestehen.“
„Ich hätte das gern gesehen.“
„Was hast du gesagt?“, fragte er lächelnd und lugte mit dem Kopf hinter der Statue hervor.
Sie schlug sich eine Hand vor den Mund. Hatte sie gerade ihre Gedanken laut ausgesprochen? Wie dumm musste man sein, um so eine Glanzleistung zu vollbringen? Ihr
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