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Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)

Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)

Titel: Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Dirks
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nutzlos. Immer wieder blickte sie auf ihre Armbanduhr. Aber der große Zeiger bewegte sich im Schneckentempo. Jedes Mal, wenn sie erneut auf das Ziffernblatt sah, war nur eine weitere, mickrige Minute vergangen.
    Eigentlich war es absurd, überlegte sie und ließ ihren Blick schweifen. Nach all den Jahren lernte sie endlich ihren leiblichen Vater kennen, aber anstatt die Zeit, die ihnen noch blieb, mit ihm zu verbringen, jagte sie gemeinsam mit einem Werwolf Vampire. Korrektur, er jagte die Vampire, sie saß tatenlos herum.
    Sie schüttelte den Kopf. Jeder, dem sie davon erzählte, würde sie für verrückt halten. Sie zweifelte selbst an ihrem Verstand. Dabei war ihr Tremonde nicht gleichgültig. Obwohl sie ihn erst seit wenigen Tagen kannte, war er ihr ans Herz gewachsen. Natürlich war ihre Bindung nicht so eng, wie die zu ihrem Adoptivvater. Heinrich und Maria Balbuk nannte sie Mama und Papa. Es spielte keine Rolle, dass ihre Gene nicht übereinstimmten. Sie waren die Menschen, die ein Leben lang für sie gesorgt hatten und sie wie ihr eigen Fleisch und Blut liebten. Joli erinnerte sich an ihre große Angst vor dem ersten Schultag. Alles war neu und aufregend gewesen, sie hatte niemanden gekannt und sich inmitten der Kinderschar einsam gefühlt. Um sie zu trösten hatte ihre Mama ihr eine riesige Schultüte geschenkt, welche die Schultüten aller anderen Kinder um einige Zentimeter überragte und mit Schokolade und Gummitieren gefüllt war, die sie später in der Klasse verteilt hatte.
    Papa hatte ihr das Schwimmen im Schäfersee beigebracht. Sie erinnerte sich, als sei es gestern gewesen, als er ihr die quietschorangen Schwimmflügel über die Arme gestülpt hatte. Er hatte Stück für Stück die Luft rausgelassen und sie angespornt, bis sie schließlich alleine schwimmen konnte.
    Jahre später hatte er mit ihr auf ihrem Abitur-Ball getanzt. Sein stolzes, doch liebevolles Lächeln würde sie sicher nie vergessen. Sie war in einer liebenden Familie groß geworden und wollte die Zeit mit ihnen nicht missen. Mit vierzehn Jahren hatte Joli von ihnen erfahren, dass sie adoptiert war. Seitdem hatte sie sich gefragt, wer ihre wahren Eltern waren. Die Antwort kannte sie inzwischen. Ihre leibliche Mutter war tot. Und ihr Vater würde sie ebenfalls bald für immer verlassen. Sie nahm sich fest vor, ihn näher kennen zu lernen, sobald sie wieder in Berlin war. Das war sie sich selbst schuldig.
    Sie wäre gern bei ihm geblieben. Doch sie fühlte sich durch ihre neue Aufgabe in der Verantwortung Remierre zu helfen. Sie spürte, dass es ihre Bestimmung war. Ihr bisheriges Leben hatte sich gut und richtig angefühlt. Zugegeben, es war kein aufregendes Leben, aber sie war zufrieden gewesen. Mit dem Wolfsauge in ihrer Brust fühlte es sich nun aber erfüllter an und eigenartig stimmig. Als hätte sie etwas gefunden, das sie gar nicht gesucht hatte.
    Joli hob den Kopf zum Himmel und genoss die warmen Sonnenstrahlen, die ihr ins Gesicht schienen, als sie ein Rascheln hörte, das sie herumfahren ließ. Nur wenige Meter entfernt entdeckte sie einen Wolf, der durch die Grabreihen schlich. Sein Fell schimmerte seidig im Sonnenlicht, das in sanften Strahlen durch die Baumwipfel hinab drang.
    „Remierre!“, rief sie freudig.
    Sie erhob sich eilig, um auf ihn zuzugehen. Wie war er nur aus der Gruft gelangt, ohne dass sie es bemerkt hatte? Das Tier hob den Kopf und sah sie an.
    „Wie kommst du denn hier her?“
    Sie streckte die Hand aus. Das war eine Gelegenheit, in der sie sich ohne schlechtes Gewissen wagte, ihn zu streicheln. Wenn er später nachfragte, würde sie sagen, dass sie keiner Fellnase widerstehen konnte. Ihre Fingerspitzen hatten die Stelle zwischen seinen Ohren fast erreicht, da sträubte sich plötzlich das Fell des Tieres und es schnappte nach ihrer Hand, als sei es Joran von Wedelsburg.
    „Was ist denn in dich gefahren?“
    Sie machte erschrocken einen Schritt zurück. Der Wolf folgte ihr mit anschwellendem Knurren und trieb sie in die entgegengesetzte Richtung.
    „Ich bin es, Joli. Erkennst du mich nicht?“
    Mit Schrecken stellte sie fest, dass er das offenbar nicht tat, falls es sich überhaupt um Remierre handelte. Das Tier fletschte die Zähne. Bedrohlich kam es näher.
    „Ganz ruhig, ich tu dir nichts. Ich warte nur auf einen Freund.“
    Ihre Beruhigungsversuche scheiterten. Joli machte einen verhängnisvollen Schritt nach hinten und stolperte über eine alte Plastikgießkanne, die jemand am Wegrand liegen

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