Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
der Welt der Finsternis in unser Reich leitet. Große Pyr, wir bitten dich, erhöre unser Flehen, kehre heim zu deinen Kindern. Oh, große Königin der Vampire, oh, Älteste, deren Blut uns alle erweckte und uns die Unsterblichkeit schenkte.“
Jolis Blick glitt panisch zu einem der hohen, vergitterten Fenster, doch sie konnte den Mond von ihrer Position aus nicht sehen. Sie war bewegungsunfähig. Einer inneren Eingebung folgend, schloss sie fest die Augen und konzentrierte sich auf Remierre. In Gedanken rief sie ihn an, in der Hoffnung, dass er ihre Gegenwart irgendwie erspürte.
Doch nichts geschah. Die Schattengestalten setzten sich in Gang. Sie liefen im Kreis, nahmen je eine Kerze aus den nahestehenden Leuchtern, die andere Hand bewegte sich, als malten sie Symbole in die Luft. Dr. Freck blieb jedoch zu ihren Füßen stehen und betete für seine Königin. Joli sah, dass er etwas Metallisches, vermutlich einen Dolch zückte und sich vor ihren rechten Fuß kniete.
Ein kurzer Schnitt und sie verspürte einen grässlichen Schmerz. Ihr Blut, das nun über ihren Knöchel rann, fühlte sich warm, gerade zu heiß an. Dr. Freck erhob sich und ging zu ihrem linken Fuß über, um in ihr Fleisch zu schneiden. Fest kniff sie die Augen zusammen, als sich derselbe unerträgliche Schmerz ihrer bemächtigte.
Als sie die Augen wieder öffnete, stand Dr. Freck mit einem breiten Grinsen über ihr. Sie konnte seine Vampirzähne sehen, die hervorstanden und wie zwei spitze Dolche aussahen. Hoffentlich kam er nicht auf den Gedanken, in ihren Hals zu beißen und ihr Blut zu trinken. Doch Freck hatte andere Pläne. Er schnitt ihr erst in die linke, dann in die rechte Handfläche und wartete, bis das Blut hervorquoll, bevor er sich wieder erhob und sich an seinen Ausgangspunkt zwischen ihren Beinen zurück begab. Der Gesang schwoll an. Erneut vermischten sich die verschiedenen Stimmen zu einem gewaltigen Chor. Ihr blieb nichts anderes übrig als zu hoffen, dass irgendjemand diese Verrückten hörte, dass irgendjemand mitbekam, was hier unten vor sich ging. Doch der Schlossturm war ihres Wissens nach weder fürs Klinikpersonal noch für die Patienten zugänglich. Dieser Umstand minderte die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aufmerksam wurde.
Sie blickte zu den blutroten Striemen auf ihren Handflächen. Das Blut floss über ihre Haut und rann in einen wenige Millimeter breiten Steinkanal im Boden. Die Runen zu ihren Händen und Füßen füllten sich mit Blut. Musste ihr Körper, um der Königin der Vampire ein Heim zu bieten, blutleer geschröpft werden? Ohne einen Tropfen Blut im Leib würde sie sterben. Himmel, sie wollte nicht sterben, sie wollte leben.
Resignierend blickte sie zur hohen Decke auf, vorbei an den verrosteten Gasrohren, zu den brennenden Ölschalen, die an einer langen, eisernen Kette in den Raum hingen.
Vampire waren mächtige Wesen. Das wusste Remierre aus langjähriger Erfahrung. Pyr hatte ihre Zöglinge nicht nur mit machtvollen Fähigkeiten ausgestattet, die sich bei jedem Vampir anders zeigten, ihr Geschenk brachte auch einige Einbußen mit sich. Im Sonnenlicht verbrannten sie innerhalb weniger Augenblicke zu Asche, wenn sie nicht genügend Blut zu sich nahmen fielen sie in eine totenähnliche Starre, pfählte man sie, so verwesten sie in Sekundenschnelle, und ihre Sinne waren im Laufe der Jahrhunderte derart verkümmert, dass sie quasi nicht mehr existierten. Sinne, auf die Remierre unter keinen Umständen verzichtet hätte, da sie seiner Ansicht nach lebensnotwendig waren. Ein vampirisches Auge sah keine Farben, von einem kräftigen Blutrot abgesehen. Ihre Welt war grau und kalt. Sie schmeckten nichts, außer der Süße frischen Blutes oder den ekelhaften Geschmack, wenn es bereits geronnen war, so stand es in den alten Aufzeichnungen. Für Gerüche waren ihre Nasen unempfindlich. So konnten sie Freund und Feind nicht am Geruch erkennen, wohl aber an der machtvollen, vampirischen Ausstrahlung, die jedem Blutsauger inne war und die selbst Remierre nicht nachahmen konnte, wenn er unter ihnen nicht auffallen wollte.
In seiner schwarzen Kutte hingegen war er nicht bemerkt worden, er hatte sich unter ihnen bewegt, als wäre er einer von ihnen, bis zu dem Moment, in dem die Vampire ihre Kapuzen abgenommen und ihre schrecklichen Fratzen offenbart hatten, woraufhin er sich unbemerkt in den Schatten zurückgezogen und hinter einem Altar versteckt hatte.
Sehr bald würde auffallen, dass sich die Anzahl der Vampire,
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