Lykandras Krieger 3 - Wolfskriegerin (German Edition)
Antwort längst. Freck stürzte sich erst auf ihre Hände, dann auf ihre Füße, ritzte sie an den Gelenken auf. Joli schrie vor Schmerz, krümmte sich, zuckte und bäumte sich auf, aber es hatte keinen Sinn. Die Fesseln hielten sie am Boden. Warmes Blut floss über ihre Haut. Ihr Blut. Es füllte die Rinnen in den Runen, die den steinernen Untergrund zierten.
Joli wurde schwarz vor Augen. Es kribbelte in ihren Fingerspitzen, sie bekam kaum Luft, doch sie musste im Hier und Jetzt bleiben, durfte sich nicht der aufkeimenden Ohnmacht ergeben. Der Verlust ihres Blutes belastete ihren Kreislauf. Ihr Herz raste, sie verfiel in Schnappatmung, kämpfte dagegen an, bis sie plötzlich etwas unter sich spürte. Nicht die Kälte der Steine, sondern einen Windstoß. Und als sie an sich hinabsah, erkannte sie, dass sich unter ihr eine Art Tunnel geöffnet hatte. Doch dies musste eine Täuschung sein, denn sie hatte nicht das Gefühl, zu fallen. Nein, sie lag noch immer auf dem steinernen Untergrund, dennoch konnte sie direkt in eine andere Welt blicken. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das sie für kurze Zeit ihren Schmerz vergessen ließ. Da bewegte sich etwas unter ihr. Sie war nicht sicher, was es war, doch es kam schnell näher. Immer näher.
Joli versuchte, sich diesem Etwas zu entziehen, aber das war unmöglich. Sie war gefesselt, konnte sich keinen Millimeter rühren. Schweiß perlte von ihrer Stirn. Sie fing an, zu zittern, hatte das Gefühl, zu fiebern. Plötzlich berührte sie etwas. Es war die Hand einer Frau, welche eben diese nach ihr ausstreckte und sie mit den äußersten Fingerspitzen berührte. Pyr. Diese Frau war Pyr, das wusste Joli instinktiv. Die Königin der Vampire. Sie würde sich mit ihr vereinen, so wie es Freck prophezeit hatte, in ihren Körper schlüpfen, zu Joli werden. Und Joli? Sie würde verschwinden. Aufhören zu existieren.
„Nein!“, schrie sie wie von Sinnen, warf den Kopf von einer Seite zur anderen, riss an den Seilen, bäumte den Oberkörper auf.
„Joli!“
Das war Remierres Stimme. Aber wo war Rem? Sie konnte ihn nicht sehen.
„Ich bin hier! Hilf mir!“
Vor ihr standen nur Freck und seine Diener, kein Remierre. Sie spürte die starke, alles umfassende Präsenz von Pyr, die ihr nah war. Verdammt nah!
„Beeil dich!“, brüllte sie aus Leibeskräften. Gleich würden sie sich vereinen und Joli wäre nur noch eine Hülle, ein Gefäß für Pyr. Das durfte nicht passieren! Joli wollte leben!
„Wach auf, Joli!“
Etwas rüttelte an ihr. Pyrs Fingerspitzen drangen in ihren Körper ein. Sie spürte ihre Kälte, die ihr dasBlut in den Adern gefror. Joli konnte nicht mehr atmen. Gleich würde Pyr Besitz von ihr ergreifen, gleich wäre sie für immer verloren. Tiefer und tiefer drangen ihre Finger in sie.
„Joli!“
Kräftige Arme packten sie, zogen sie an eine heiße, muskelbepackte Brust. Sie spürte einen vertrauten, heißen Atem, nahm den beruhigenden Geruch auf.
„Ganz ruhig“, sagte Rem.
Joli spürte, dass sie in Sicherheit war. Erleichtert schmiegte sie sich an ihn, schlug die Augen auf. Sie war nicht mehr in Schloss Hornbach, sondern in Rems Bett, wo sie die ganze Zeit gewesen war. Es war nur ein Traum.
„Meine arme kleine Joli“, flüsterte er und küsste zärtlich ihre Stirn. „Hattest du wieder diesen Albtraum?“
Sie nickte. Erst jetzt merkte sie, dass ihre Stirn schweißnass war und die Haare an ihrem Kopf klebten. Sie zitterte am ganzen Leib, was Rem animierte, sie noch fester an sich zu ziehen.
„Ich war wieder im Sanatorium von Schloss Hornbach.“ Auch ihre Stimme zitterte. Sie klang fremd. Joli erkannte sie fast nicht wieder. Seit sie damals nur knapp dem Tod entronnen und Schloss Hornbach durch eine Gasexplosion in die Luft geflogen war, hatte sie immer wieder Albträume gehabt, aber in letzter Zeit häuften sie sich und nie zuvor waren sie so intensiv gewesen. Es hatte sich so unglaublich echt angefühlt, dass sie meinte, Pyr hätte sie tatsächlich berührt. In ihrer Brust, wo das Wolfsauge saß, spürte sie eine tödliche, alles verzehrende Kälte, die sie zweifeln ließ, ob es tatsächlich nur ein Traum war.
„Alles ist gut, ich beschütze dich“, flüsterte Rem.
Aber wie könnte er das? Er konnte sie schwerlich vor ihren Albträumen retten. Dort war sie allein, auf sich selbst gestellt.
„Du weinst ja“, stellte er aufgelöst fest und küsste die Tränen auf ihren Wangen fort.
Joli wischte sich über die feuchten Augen. „Ich weiß gar
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