Lykos (German Edition)

Rücken und ließ sich vorn mit Sicherheit nicht mehr schließen, wie Peter Straub heimlich vermutete. Dennoch besaß sein Vorgesetzter seinen Respekt, denn Breuer stand mehr als 100 Prozent hinter seinen Kollegen und deckte sie, egal was war. Die Last der Verantwortung war ihm jedoch wie gesagt in brenzligen Situationen anzusehen – und hier schien eine solche Situation bevorzustehen. Drei Opfer in zwei Monaten, die ganz offensichtlich vom selben Täter ermordet worden waren. Und das mit einer Brutalität, die trotz all der auch hier in der Stadt bestehenden Kriminalität ihresgleichen suchte.
„Und?“, fragte Breuer. In diesem kurzen Wort lagen so viele Fragen gleichzeitig.
„Alle Drei gehen auf das gleiche Konto“, begann Straub. „Wir brauchen unbedingt Hilfe von außerhalb. Das psychologische Profil sollte jemand erstellen, der ständig mit vor Ort sein kann – für Nachfragen und so weiter. Zudem wäre ein Experte für tierisches Verhalten nicht schlecht. Mir geht das Wolfsfell aus dem ersten Fall nicht aus dem Kopf. Die Bissspuren an den Opfern deuten darauf hin,  der Täter irgendein tierisches Ritual oder Jagdverhalten imitiert. Dr. Brecht aus der Pathologie erwähnte jemanden vom Zoo Hannover.“
„OK, ich kümmere mich darum“, nickte Breuer und schrieb sich Notizen auf einen großen Tischkalender.
„Zusätzliche Streifen wären auch nicht schlecht“, schlug Straub vor und grinste dabei sarkastisch.
„Sehr witzig. Die Kollegen schieben schon jetzt Überstunden in Masse vor sich her. Kannst ja mal unseren Innenminister fragen, ob er sich beteiligt“, antwortete der Hauptkommissar ebenso.
„Die Presse hat bereits Wind bekommen, wir sollten nichts mehr über den normalen Funk durchgeben, was den Fall angeht“, sagte Angela Damm, während ihr Vorgesetzter wieder schrieb.
„Na, dann kann es ja lustig werden. Ich sehe es schon vor mir: Serienmörder in Salzgitter, Polizei tappt im Dunkeln“, brummte Breuer.
„Wir können sie vielleicht etwas zurückhalten, wenn wir sie mit unwichtigen Infos füttern, die jedoch exklusiv wirken“, bemerkte Straub.
„Tja, aber wenn die Sache weiter hoch kocht, haben wir bald RTL und Konsorten auf dem Hals. Peter, wir müssen schnell handeln. Seht bloß zu,  ihr diesen Irren in die Finger bekommt!“, beschwor Reinhard Breuer seine beiden Kollegen und setzte sich dann ans Telefon.

Der Experte
Siegfried Leuschenberger konnte getrost als der Experte für Raubtiere – vornehmlich Wölfe, Füchse und Wildhunde – bezeichnet werden. Der Veterinär, der im Hannover Zoo und der tiermedizinischen Hochschule seine Hauptbeschäftigung fand, war eine anerkannte Fakultät und hatte sich durch etliche Auslandseinsätze sogar schon weltweit einen Namen gemacht. Seine Expertise über die Wiederkehr der Wölfe in den deutschen Wald und damit verbundene Verhaltensregeln im Umgang mit diesen Raubtieren war ebenso Standardwerk wie die vielfältigen Untersuchungen, die er anhand von Problemen mit Wölfen und Wildhunden bereits in vielen Ländern getätigt hatte. Seine Arbeit brachte ihm manchmal auch unangenehme Momente ein. Zum Beispiel dann, wenn ein Kind von einem tollwütigen Wolf angefallen und sogar getötet wurde, wie es vor zwei Jahren in Rumänien der Fall gewesen war. Oder die Sache mit den zwei jungen Frauen in Mali, die von einem ganzen Rudel äußerst hungriger und deshalb nicht mehr menschenscheuer Hyänen zerfleischt worden waren.
Was er allerdings jetzt ausgerechnet in der Pathologie des Klinikums in Salzgitter zu sehen bekam, war auch für ihn gewöhnungsbedürftig. Der Anruf des Kommissariates mit der Bitte um Expertenmeinung hatte ihn am gestrigen Mittag erreicht. Noch war ihm nicht so ganz klar gewesen, welcher Zusammenhang mit seinem Fachgebiet vorliegen sollte, aber die eindringliche Bitte des Hauptkommissars Reinhard Breuer, an der Autopsie von zwei in Salzgitter vorgefundenen Mordopfern mit vermuteten Bisswunden teilzunehmen, war für den Tierarzt interessant. Deshalb hatte er zugesagt und war am frühen Morgen des nächsten Tages nach Salzgitter gekommen.
Seine kräftige Figur, die jugendliche Frisur mit dem nackenlangen, dunklen Haar und die gesunde Bräune wiesen ihn als Sportler wahrscheinlich einer Extremsportart aus. Er zwängte sich mehr oder weniger in die für ihn bereitgelegte grüne, sterile Kleidung und begab sich dann in die Autopsie, wo Dr. Brecht ihn bereits erwartete. Die nüchterne Atmosphäre im Untersuchungssaal mit den