Lyon - A.M.O.R. 01
verändert, wenngleich sie nicht sagen könnte, woran genau sie das festmachte. Fast hatte sie den Eindruck, er wäre im Laufe der vielen Jahre nicht sichtbar gealtert. Prior Laughlin schien zeitlos, altehrwürdig und im Herzen immer jung geblieben. Was sie meinte zu sehen, lag bestimmt an ihrer Veränderung, denn seine Worte wirkten wie eh und je auf sie, taten ihr gut. Sie lächelte, nickte und dankte ihm herzlich.
„Begehrst du, deine Wertsachen mit dir zu nehmen?“
Das hätte sie in der Eile, fortzukommen, fast vergessen. Ihr Handy, die Armbanduhr, ihr geliebtes, zartes Goldkettchen mit dem Sternzeichenan hänger Jungfrau … dessen Beschreibung wunderbar auf sie passte. Gezügelter Gefühlsmensch, große Selbstbeherrschung, ernsthaft, mehr unverheiratete Jungfrau- F rauen als verheiratete, bescheiden und ehrgeizig. Doch es gab einen anderen Grund, weshalb das Armband ihr kostbarster Besitz war.
Es musste von ihren Eltern stammen. Sie hatten den 15.9.1982 als ihr Geburtsdatum eingravieren lassen und ihren Namen. Ohne den filigranen Anhänger hätte sie beides niemals erfahren. Dennoch fragte sie sich zeit ihres Lebens, warum sie adina kleingeschrieben hatten. Aber dieses Rätsel würde sie wohl genauso wenig lösen können wie das um ihre Herkunft.
Im zarten Alter von vier Monaten trug sie die Kette um das Handgelenk als Prior Laughlin sie dick in Kleidung eingewickelt auf den verschneiten Stufen der Klosterkirche vorfand. Ohne sie fühlte sie sich nackt, doch den Sitten des Klosters folgend, keinen Schmuck zu tragen, hatte Adina sie abgenommen. Eine erleichterte Vorfreude erfasste sie, das Andenken bald wieder auf der Haut zu spüren.
Adina ging neben dem hochgewachsenen Geistlichen her, durch einen Teil des gepflegten Klostergartens, auf den Seiteneingang der Kirche zu. In den hinteren Räumen befanden sich die Büros, in denen die persönliche Habe aller Bewohner sicher verwahrt in Tresoren lag.
Plötzlich stürzte sich etwas auf sie. Es geschah so schnell, dass sie sich dessen erst gewahr wurde, als sie von Laughlins Armen gequetscht in Rückenlage hing. Ihr fuhr ein stechender Schmerz in den Hals.
Ebenso unerwartet rauschte ein lautloser Schatten über sie hinweg und riss Laughlin von ihrem Körper. Adina fiel kraftlos auf den Rasen. Der Prior stieß einen erstickten Laut aus, dann hörte sie nichts mehr. Benommen setzte sie sich auf und befühlte ihre Halsseite. Sie müsste Angst haben, schreien, um sich schlagen oder weglaufen. Ihr Herz müsste vor Schock wummern wie die Bässe in einer Diskothek, aber sie war die Ruhe selbst, schwankte im Sitzen wie unter Alkohol stehend. Leichtigkeit umnebelte ihren Geist und sie sank zurück ins Gras.
Ein schwarzer Schemen nahm vor ihr Gestalt an. Lyon. Sie wollte etwas sagen, doch ihr Mund schien wie betäubt. Lyon stemmte die Fäuste in die Seiten, strahlte Besorgnis aus. Er trug Jeans, Shirt und Mantel, alles dunkel wie die Nacht. Nur allmählich hoben sich die narkotisierenden Schleier in ihrem Hirn und das Gefühl auf ihrer Zunge kehrte zurück.
Sie blinzelte. Ihre Muskeln reagierten wie auf einen Schreckschuss. Sie sprang auf und rannte los, Lyon direkt in die Arme, obwohl er in der entgegengesetzten Richtung gestanden hatte. Sie schrie, er unterband auch dies. Sie zappelte und trat um sich. Er hob sie hoch wie eine Puppe.
„Sei still.“
Klar, er gab wieder den Einfühlsamen in Person. Die Unfähigkeit, sich nur ein wenig zu bewegen, ließ ihre sinnlosen Versuche, sich zu befreien, erlahmen. „Warum hast du das getan?“
„Ich?“, erwiderte er schockiert.
Adina fiel unvermittelt auf die Füße und wandte den Kopf zu allen Seiten. „Wo ist er?“
„Der, der dich gerade gebissen hat?“
„Ja, der … er … Was? Das kann doch nicht! Wieso … ich meine …“ Sie brach den Stottersatz ab und fuhr sich an den Hals. Blut. Ihr Blut. Sie schwankte bedenklich und hob die blutverschmierte Hand, um Lyon daran zu hindern, ihr unter die Arme zu greifen. Nicht die beste Idee. Er knurrte.
Adina wich zurück, bis der Stamm eines Apfelbaumes sie stützte. Erleichtert und verängstigt zugleich seufzte sie und ließ die Schultern hängen. In ihrem Schädel herrschte das totale Chaos. Die ihr vertraute alte Welt, Freunde – alles futsch. Sie sah zu Lyon auf, der sich nicht rührte. Seine schwarzen Augen schienen im fahlen Mondlicht zu glimmen, als die Wolken es hinabließen. Sie senkte die Lider. Ihr Körper reagierte auf Lyon mit einem
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