Lyon - A.M.O.R. 01
unvernünftigen Begehren, einer Sehnsucht, die nur animalischen Ursprungs sein konnte. Das war komplett irre, sicher litt sie unter einem weiteren Schock oder der Enthaltsamkeit. Sie hatte wirklich andere Probleme. Ihr Prior war ein … Vampir? Und Lyon ebenso? Sie seufzte erneut, nahm sich vor, ab sofort nur noch ihren analytischen Verstand einzusetzen, zumindest bis zum nächsten übernatürlichen Ereignis, das sie mit simpler Logik nicht würde verstehen können. „Wegen der Sache im Wald, da sollte ich mich wohl bei dir bedanken.“
„Geschenkt.“
„Und für eben …“
„Ich muss die Wunde verschließen.“
Adina schluckte und befühlte wiederholt die betäubte Stelle an ihrem Hals. Es blutete noch, der Pulli fühlte sich bereits feucht auf der Schulter an.
„Deine Hämostase ist vorübergehend gehemmt.“
Ihr Blut gerann nicht? Panisch zog sie den Stoff des Pullovers hoch und presste ihn auf die Einstiche.
„Das hilft nicht.“
Ein Krankenhaus war meilenweit entfernt. Die Klosterärztin kam unmöglich infrage, ein Arztbesuch würde weitreichende Konsequenzen haben, man würde sie danach als Versuchskaninchen für Regierungszwecke missbrauchen. Ohne Verbandskasten glich sie einem Schiedsrichter ohne Pfeife. In Lyons Augen glomm der Hunger. Sie hatte eine Ahnung, was er tun wollte, und versteifte sich. „Nein, nein …“
„Dann verblute halt.“ Lyon verschränkte die Arme vor der nervös donnernden Brust. Was er auch sagte, er bewunderte sie. Sie war von einem Horrorwesen gebissen worden, hatte unzählige schockierende Erlebnisse hinter sich und blieb dennoch Herr ihrer Sinne. Ganz im Gegensatz zu ihm. Als sie ihn im Wasserbecken gemustert hatte, eine Gänsehaut nach der anderen ihre Haut überlief und Muskeln an verborgenen Stellen anfingen, zu pumpen, erwog er, sich erneut die Beine zu brechen, um nicht aufzuspringen und entschloss, sich eine leichte Trance zu verpassen. Nun allerdings musste er wachsam bleiben. Er durfte unter keinen Umständen einen Magycen in ihrer unmittelbaren Umgebung zulassen. „Du kanntest diesen Bastard?“
„Ja doch! Mein ganzes Leben. Er ist Prior des Klosters.“
Ihre Stimme zitterte und ihre Augen hasteten unstet umher. Aus Sorge glitt er unbedacht zu schnell auf sie zu und fasste sie bei den Schultern. „Ich bring dich von hier weg.“
„Nein!“, schrie sie auf, aber der Baum in ihrem Rücken hinderte sie an der Flucht. Sie schlug wild um sich und holte zu einem Kinnhaken aus.
Lyon fing ihre Faust mit Leichtigkeit ab. Durch die Wucht des Aufpralls spritzte ihm ein Tropfen ihres Blutes auf die Oberlippe. Bevor er sich zügeln konnte, übernahm seine Gier die Kontrolle und seine Zungenspitze leckte über die feuchte Stelle.
Heilige Muttergottes! Was für unsagbar köstliches Blut. Menschlich, aber … Sakrales Schicksal! Adina würde sich tatsächlich in einen Amorphen verwandeln!
Er taumelte und ließ sie los. Sie rutschte wie ein nasser Sack am Stamm hinunter und formte sich zu einer Kugel. Wieder und wieder fuhr er sich über die Lippen, filterte ihr Elixier. Er irrte nicht. Und was er noch herausschmeckte, kam ihm erst jetzt mit aller Deutlichkeit zu Bewusstsein. „Du bist keine vierunddreißig.“ Er fletschte die Zähne. Das erklärte so einiges. Sie war jünger und konnte sich auch deshalb noch wandeln.
Ein leises Schluchzen drang unterhalb ihrer Oberarme hindurch.
Er war verdammt wütend, ihr auf den Leim gegangen zu sein. Sie hatte ihn angelogen, stand kurz vor der Wandlung. Sie musste die Veränderungen seit einigen Wochen spüren. Ihre geschärften Pupillen hatten ihn im Dunkeln sehen und seine Bewegungen verfolgen können. Verflucht, sie kannte sein wahres Antlitz. Ein tiefes Grollen rollte aus den Eingeweiden hoch über seine Lippen. „Du hast mich belogen. Du weißt, dass du wirst, was ich bin.“
Sie sah nicht auf, schüttelte den Kopf, der zwischen ihren Knien unter den Armen klemmte, als schützte sie sich vor Steinschlag. Gewiss fühlte sie sich auch so, niedergedrückt von der Last der harten Wahrheit.
Seine Empörung wuchs, obwohl er bei ihrem Anblick abkühlen müsste. Und noch mehr kristallisierte sich aus seinem Gefühlswirrwarr heraus. Furcht um Adina. Argwohn und gleichsam Entzücken, weil sie sich wandelte. Er trachtete danach, sie an sich zu reißen, sie zu beschützen und zu küssen. In seiner aufgeheizten Stimmung hielt nur der Ehrenkodex seiner Spezies ihn ab, sich ihr zu nähern. Ein Amorph tat niemals
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