Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
nachdenken.«
Beim Abendessen sagte Yane: »Es gibt einen Weg, von der Burg zu fliehen. Aber wir müssen einen dritten mitnehmen.«
»Und wer soll das sein?«
»Sein Name ist Cargus. Er arbeitet als Hilfskoch in der Küche.«
»Ist er vertrauenswürdig?«
»Nicht mehr und nicht weniger als du oder ich. Aber was ist nun mit den Hunden?«
»Wir brauchen eine halbe Stunde im Schuppen des Zimmermanns.«
»Der Schuppen ist um die Mittagszeit leer. Gib acht, da kommt Cyprian. Steck die Nase in die Suppe.«
Cargus war nur einen halben Zoll größer als Yane, aber wo bei Yane nur Sehnen und Knochen zu sehen waren, schwollen bei Cargus mächtige Muskelpakete. Der Umfang seines Halses übertraf den seiner gewaltigen Arme. Sein schwarzes Haar war kurz geschoren; kleine schwarze Augen leuchteten unter dichten schwarzen Brauen. Im Küchenhof erklärte er Yane und Aillas: »Ich habe ein Viertelmaß des als ›Gelber Eisenhut‹ bekannten Pilzes gesammelt. Er ist giftig, aber sein Genuß führt nur selten zum Tode. Heute abend kommt er in die Suppe und würzt die Pasteten für die große Tafel. Heute nacht werden überall auf Burg Sank die Gedärme gurgeln. Man wird es auf verdorbenes Fleisch schieben.«
Yane brummte. »Wenn du auch die Hunde vergiften könntest, könnten wir mühelos und ungestört verschwinden.«
»Ein schöner Gedanke, aber ich habe keinen Zugang zu den Zwingern.«
Zum Abendessen aßen Yane und Aillas nur Brot und Kohl und beobachteten mit Vergnügen, wie Cyprian zwei Schalen Suppe löffelte.
Wie Cargus vorausgesagt hatte, litt am Morgen die gesamte Bevölkerung der Burg an Magenkrämpfen,begleitet von Schüttelfrost, Übelkeit, Fieber, Halluzinationen und Ohrensausen. Cargus ging zu Cyprian, der mit gesenktem Kopf über dem Tisch hing und von Fieberanfällen geschüttelt wurde. Wütend schrie Cargus ihn an: »Ihr müßt einschreiten! Die Küchenjungen weigern sich zu arbeiten, und die Tonnen quellen über vor Abfall!«
»Leere sie selbst«, ächzte Cyprian. »Ich kann mich nicht um solche Nebensächlichkeiten kümmern. Das Verderben schwebt über mir!«
»Ich bin Koch und kein Küchenjunge! Heda, ihr zwei!« rief er Aillas und Yane zu. »Ihr könnt wenigstens gehen! Leert meine Abfallkübel, aber hurtig!«
»Niemals!« knurrte Yane. »Leer sie doch selbst!«
Cargus wandte sich wieder an Cyprian. »Meine Abfallkübel müssen geleert werden! Gebt den beiden sofort den Befehl, oder ich gehe zu Imboden und scheuche ihn von seinem Kackstuhl auf!«
Cyprian gab Yane und Aillas einen matten Wink. »Geht schon, ihr zwei und leert diesem Teufel seine Abfallkübel aus, und wenn ihr kriechen müßt.«
Gemeinsam trugen Aillas, Yane und Cargus die Kübel zum Abfallhaufen und nahmen ihre Bündel auf, die sie zuvor dort versteckt hatten. Dann entfernten sie sich im Laufschritt von der Burg, geschickt die Deckung des Unterholzes und der Bäume ausnutzend.
Eine halbe Meile östlich der Burg überquerten sie einen Hügel. Von nun an war die Gefahr der direkten Entdeckung von der Burg aus gebannt, und sie kamen schneller voran. Sie hielten sich jetzt nach Südosten, um einen möglichst großen Bogen um die Sägemühle zu machen. Sie rannten, bis sie außer Atem waren, und nach einer kurzen Verschnaufpause rannten sie weiter. Eine Stunde später erreichten sie den Malkish-Fluß.
An dieser Stelle war der Fluß breit und flach, obwohl er nur ein kurzes Stück oberhalb als tosender Katarakt durch enge Felsschluchten zu Tale donnerte und sich wenig weiter flußabwärts erneut in ein reißendes Wildwasser verwandelte, das sich schäumend und wirbelnd durch schmale Felsspalten zwängte. Schon manch ein flüchtiger Skaling hatte dort mit zerschmetterten Gliedern an einer Felsklippe geendet. Ohne Zögern stapften Aillas, Yane und Cargus ins Wasser und begannen hinüberzuwaten. Stellenweise reichte ihnen das Wasser bis zur Brust, und sie mußten ihre Bündel hoch über dem Kopf halten. Als sie sich dem gegenüberliegenden Ufer näherten, blieben sie stehen und ließen forschend ihre Blicke über die Böschung schweifen.
Da die nähere Umgebung des Ufers wenig vielversprechend für ihre weitere Flucht aussah, wateten sie weiter stromaufwärts, bis sie einen kleinen Kies-strand sichteten, hinter dem sich ein kleiner, grasbewachsener Hügel erhob. Aus ihren Bündeln holten sie die Gegenstände hervor, die Aillas und Yane im Zimmermannsschuppen angefertigt hatten: Stelzen, an deren Ende Strohpolster befestigt
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