Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
weitere sechs, die außerhalb des Tunnels schufteten. Vierzehn Männer verbanden sich in einem tollkühnen Pakt, und sofort wurde das Werk in Angriff genommen.
Der Tunnel war inzwischen zweihundert Schritt nach Osten unter die Ebene vorgetrieben worden. Bis zum Endpunkt fehlten noch zweihundert Schritt, vornehmlich durch Brandschiefer, der in unregelmäßigen Abständen von unerklärlichen, drei Fuß dicken Klumpen von eisenhartem blauen Sandstein durchsetzt war. Mit Ausnahme dieser Sandsteinklumpen war der Boden relativ leicht mit Hacke und Pickel zu durchdringen. Pro Tag schob sich der Tunnel zehn bis fünfzehn Schritte vor. Zwei Zimmerleute brachten die Verschalung an. Dabei ließen sie ein paar Balken locker, so daß diese problemlos zur Seite gezogen werden konnten. Durch die so entstehende Lücke begannen nun mehrere Mitglieder der Schicht einen schräg zur Erdoberfläche ansteigenden Nebentunnel zu graben. Der Abraum wurde in Körbe geschaufelt, auf Karren geladen und zusammen mit dem Abraum aus dem eigentlichen Tunnel zum Eingang geschafft. Dadurch, daß der Rest der Schicht durch verstärkten Arbeitseinsatz das Fehlen der jeweils im Seitentunnel arbeitenden Männer wettmachte, ging die Arbeit ebenso schnell voran wie eh und je, und niemand vom Wachpersonal schöpfte Verdacht. Für den Fall, daß der Aufseher sich zu einem Inspektionsgang entschließen sollte, hielt stets einer der Männer mit einem vollgeladenen Karren dreißig Schritt vor dem Tunneleingang Wache, bereit, beim Auftauchen des Aufsehers auf den Belüftungsschlauch zu springen, um seine Kameraden zu warnen. Im Notfall war er angewiesen, seinen Karren umzukippen, und zwar so, daß es wie ein Ungeschick aussah, um den Aufseher für eine Weile aufzuhalten. War der Aufseher dann schließlich vorbei, war er angewiesen, den Karren auf den Belüftungsschlauch zu rollen. Dadurch wurde die Luft am Ende des Tunnels so unerträglich, daß der Aufseher so wenig Zeit wie möglich im Tunnel verbringen würde.
Der Nebentunnel, fünf Fuß hoch, drei Fuß breit und steil ansteigend, machte rasche Fortschritte, und die Hauer arbeiteten nur mehr mit behutsamen Schlägen, damit sie nicht beim Durchbruch in ihrem Eifer ein großes Loch in die Erdoberfläche rissen, das man von der Festung aus sehen konnte. Schließlich stießen sie auf Wurzelwerk von Gräsern und Gestrüpp, dann auf dunkles Oberflächenerdreich, und sie wußten, daß sie dicht am Ziel waren.
Bei Sonnenuntergang nahmen die Tunnel-Skalinge ihr Abendessen in einer Kammer am Kopfe des Tunnels ein. Anschließend kehrten sie wieder an ihre Arbeit zurück.
Zehn Minuten später ging Aillas nach vorn, um Kildred, den Aufseher zu rufen, einen großgewachsenen Ska mittleren Alters mit einem Narbengesicht, einem Kahlkopf und einem Auftreten, das selbst für einen Ska befremdend war. Wie gewöhnlich saß Kildred beim Würfeln mit den Wachen. Er schaute über die Schulter, als er Aillas nahen hörte, und rief: »Was ist los?«
»Die Hauer sind auf eine Schicht blauen Sandstein gestoßen. Sie brauchen Gesteinssprenger und Bohrer.«
»›Gesteinssprenger‹? Was sind das für Werkzeuge?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich überbringe lediglich die Meldung.«
Kildred murmelte einen Fluch und stand auf.
»Komm, sehen wir uns diesen blauen Felsbrocken mal an.«
Gefolgt von Aillas stapfte er im trüben, orangefarbenen Flackerschein der Öllampen in den Tunnel. Als er sich, am Tunnelende angekommen, hinunterbeugte, um den blauen Sandstein zu begutachten, schlug Cargus ihn mit einer Eisenstange nieder. Er war auf der Stelle tot.
Draußen mußte jetzt Dämmerung herrschen. Die Männer sammelten sich am Eingang des Seitentunnels. Die Hauer begannen vorsichtig mit dem Durchbruch.
Aillas schob einen Karren mit Abraum zur Kammer an der Tunnelöffnung. »Jetzt kommt eine Weile kein Abraum mehr«, rief er dem Mann an der Winde zu, so laut, daß die Wachen es hören mußten. »Wir sind auf eine Felsader gestoßen.«
Die Wachen warfen einen kurzen Blick über die Schulter und wandten sich wieder ihrem Würfelspiel zu. Der Windenwächter folgte Aillas zurück in den Tunnel.
Der Durchbruch war geschafft, der Fluchtweg frei. Die Skalinge stiegen hinaus ans Dämmerlicht des frühen Abends, einschließlich des Windenwärters, der nichts von dem Komplott gewußt hatte, aber froh war über diese unerwartete Gelegenheit zu entkommen. Sofort legten sich alle flach ins Gras. Aillas und Yane, die als letzte herausstiegen, zogen
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