Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
der Terrasse.
Cyprian brachte seine Meinung zu dem Vorfall lediglich mit einer Grimasse des Tadels zum Ausdruck, und beim Abendessen setzte er sich abseits, das Gesicht zur Tür gewandt.
Yane fragte Aillas leise: »Ist es wahr, daß du Alvicx mit seinem eigenen Schwert durchbohrt hast?«
»Ganz und gar nicht! Ich habe nur ein bißchen mit ihm gefochten und ihn dabei mit der Schwertspitze gekitzelt. Es war nichts Bedeutendes.«
»Vielleicht nicht für dich. Für Alvicx bedeutet es eine schwere Schmach, und du wirst büßen müssen.«
»Auf welche Weise?«
Yane lachte. »Er hat sich noch nicht entschieden.«
23
Der Hauptpalas von Burg Sank verlängerte sich von einem Festsaal auf der Westseite zu einem Gästehaus für Damen auf der Ostseite. Entlang der Mauer führten hohe, schmale Portale in verschiedene Hallen und Gemächer, von denen eines das Repositorium war, in welchem Raritäten, Ehrenzeichen des Clans, Trophäen von Schlachten und Seegefechten und geweihte Gegenstände aufbewahrt wurden. In langen Regalen standen ledergebundene Bücher und Buchenholztafeln. An einer Wand hingen Ahnenportraits, mit glühender Nadel in Tafeln aus gebleichtem Birkenholz gebrannt. Die Technik war niemals verändert worden: Das Gesicht eines Stammeshäuptlings der Nacheiszeit-Ära zeigte die gleichen scharfen Linien wie das erst fünf Jahre zuvor gebrannte Portrait von Herzog Luhalcx.
In Nischen neben dem Eingang standen zwei aus schwarzem Diorit gehauene Sphinxen, die Tronen oder Fetische des Hauses. Einmal wöchentlich wusch Aillas die Tronen mit einer Mischung aus warmem Wasser und Wolfsmilchsaft.
Eines Morgens, Aillas war gerade dabei, die Tronen nach dem Abwaschen mit einem weichen Tuch trokkenzureiben, sah er Lady Tatzel, schlank wie eine Gerte, in ihrem dunkelgrünen Gewand nahen. Das schwarze Haar wippte im Rhythmus ihrer Schritte um ihr blasses Gesicht. Sie ging an ihm vorbei, ohne ihm Beachtung zu schenken. Hinter sich ließ sie einen Hauch von Blumenduft zurück, der in Aillas die vage Vorstellung einer urzeitlichen nordischen Kräuterwelt heraufbeschwor.
Kurze Zeit später kehrte sie von ihrem Gang zurück. Sie war schon an Aillas vorbeigegangen, als sie plötzlich innehielt, zurückkam, vor ihm stehenblieb und ihn eingehend musterte. Aillas blickte kurz auf, schaute sie finster an und fuhr mit seiner Arbeit fort.
Als Tatzel ihre Neugierde befriedigt hatte, sprach sie ihn mit heller, klarer Stimme an. »Mit deinem braunen Haar würde ich dich für einen Kelten halten. Doch wirken deine Züge nicht so grob wie die eines Kelten.«
Wieder schaute Aillas sie an. »Ich bin Troicer.«
Tatzel wandte sich zum Gehen, zögerte erneut. »Ob Troicer oder Kelte, was immer du sein magst, zügle deine Wildheit: Widerspenstige Sklaven werden kastriert.«
Starr vor Entrüstung hielt Aillas in seiner Arbeit inne. Langsam erhob er sich. Er holte tief Luft und sprach mit mühsam beherrschter Stimme: »Ich bin kein Sklave. Ich bin ein troicischer Edelmann, der von einem Banditenstamm gefangengehalten wird.«
Tatzels Mundwinkel sanken, und sie wandte sich ab, als wolle sie gehen. Doch dann blieb sie stehen und wandte sich erneut zu Aillas um. »Die Welt hat uns Wut und Ungestüm gelehrt, sonst wären wir jetzt noch in Norwegen. Wenn du ein Ska wärest, würdest auch du alle anderen als Feinde oder Sklaven ansehen
– dazwischen gibt es nichts. So muß es sein, und du mußt dich fügen.« »Schaut mich an«, sagte Aillas. »Sehe ich so aus wie
einer, der sich fügt?« »Du hast dich bereits gefügt.« »Ich beuge mich jetzt der Gewalt, doch nur, um später eine troicische Armee herzuführen, die Burg Sank dem Erdboden gleichmacht. Dann werdet Ihr anders denken.«
Tatzel lachte, warf den Kopf herum und ging.
In einem Lagerraum traf Aillas Yane. »Burg Sank wird langsam bedrückend«, sagte Aillas. »Man wird mich kastrieren, wenn ich mich nicht bessere.«
»Alvicx ist schon dabei, sich ein geeignetes Messer auszusuchen.«
»In dem Fall ist es höchste Zeit zu verschwinden.«
Yane warf einen Blick über die Schulter. Sie waren allein. »Jederzeit – wenn da nicht die Hunde wären.«
»Die Hunde kann man überlisten. Das Problem ist, wie können wir Cyprian so lange ablenken, bis wir den Fluß erreicht haben?«
»Die Hunde lassen sich durch den Fluß nicht zum Narren halten.«
»Wenn ich erst von der Burg entkommen bin, entkomme ich auch den Hunden.«
Yane zupfte sich am Kinn. »Laß mich über das Problem
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