Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Norden. Er zeigte auf das Wasser. »Dort, vielleicht zehn oder zwanzig Meilen von hier, ganz sicher vermag ich es nicht zu sagen, wurde ich von meinem mörderischen Vetter ins Wasser des Golfs gestoßen. Die Strömung trug mich an Land, als ich schon am Rande des Todes zu schweben schien. Ich erwachte wieder zum Leben und dachte, ich wäre tatsächlich gestorben und meine Seele wäre ins Paradies gefahren. Ich befand mich in einem Garten, in dem ein wunderschönes Mädchen allein lebte, verbannt durch die Grausamkeit seines Vaters. Der Vater war König Casmir, das Mädchen Prinzessin Suldrun. Wir verliebten uns tief ineinander und planten die Flucht aus dem Garten. Wir wurden verraten. Ich wurde auf Casmirs Geheiß in ein tiefes, dunkles Loch geworfen, und er muß noch immer glauben, daß ich darin umkam. Deine Mutter gebar dich, und du wurdest fortgebracht, damit du vor König Casmir sicher wärest. In ihrem Kummer und Schmerz nahm deine Mutter sich das Leben, und für diese schreckliche Pein, die er seiner Tochter, die doch so unschuldig war wie das Licht des Mondes, zufügte, werde ich Casmir bis ins Mark hassen, solange ich lebe. Und so hat es sich zugetragen.«
Dhrun schaute hinaus auf das Wasser. »Wie war meine Mutter?«
»Es ist schwer, sie zu beschreiben. Sie war weltfremd und nicht unglücklich in ihrer Einsamkeit. Für mich war sie das schönste Geschöpf, das ich je gesehen hatte ...«
Als Aillas durch die Hallen Haidions schritt, suchten ihn Bilder aus der Vergangenheit heim, Bilder von ihm und Suldrun, so getreu und so lebendig, daß er glaubte, das Flüstern ihrer Stimmen und das Rascheln ihrer Kleider zu hören. Und während die Bilder an ihm vorüberzogen, da war ihm, als schauten ihn die beiden Liebenden von der Seite an, geheimnisvoll lächelnd, mit leuchtenden Augen, als hätten diezwei in aller Unschuld nicht mehr als ein gefährliches Spiel gespielt.
Am Nachmittag ihres dritten Tages verließen Aillas und Dhrun Haidion durch die Orangerie. Sie gingen die Arkade hinauf, durch das verfallene Holztor und durch die Felsen hinunter in den alten Garten.
Langsam gingen sie den Pfad hinunter, eingehüllt von einer Stille, die, der Stille von Träumen gleich, dieser Stätte innewohnte. Bei den Ruinen blieben sie stehen. Dhrun betrachtete den Garten voller Ehrfurcht und Staunen. Der Duft von Sonnenblumen würzte die Luft. Dhrun würde diesen Duft nie wieder riechen, ohne ein seltsames Gefühl von Ergriffenheit und Erregung zu spüren.
Als die Sonne zwischen goldenen Wolken versank, gingen die zwei hinunter an den Strand und schauten dem Spiel der Brandung auf dem Kies zu. Bald würde es dunkel werden. Sie machten sich auf den Rückweg. An der Linde verlangsamte Aillas seinen Schritt und blieb stehen. Ganz leise, so daß Dhrun es nicht hören konnte, flüsterte er: »Suldrun! Bist du hier? Suldrun?«
Er lauschte und glaubte ein leises Wispern zu vernehmen, vielleicht nur das Rascheln des Windes im Laub. Er wiederholte, diesmal lauter: »Suldrun?«
Dhrun kam zu ihm und drückte seinen Arm. Schon jetzt empfand Dhrun tiefe Liebe zu seinem Vater. »Sprichst du mit meiner Mutter?«
»Ich habe nach ihr gerufen. Aber sie antwortet nicht.«
Dhrun schaute sich um, blickte hinunter auf die kalte See. »Laß uns gehen. Mir behagt dieser Ort nicht.«
»Mir auch nicht.«
Aillas und Dhrun verließen den Garten, zwei Wesen, lebendig und quick. Und wenn etwas drunten beim alten Lindenbaum geflüstert hatte, so flüsterte es jetzt nicht mehr, und der Garten lag still und schweigend die ganze Nacht.
Die troicischen Schiffe waren fortgesegelt. Casmir stand auf der Terrasse auf der Vorderseite von Haidion und schaute ihnen nach, bis ihre Segel am Horizont verschwunden waren. Bruder Umphred trat zu ihm. »Auf ein Wort, Majestät.«
Casmir betrachtete ihn ungnädig. Sollace, immer inbrünstiger in ihrem Glauben, hatte den Bau einer christlichen Kathedrale angeregt, als Stätte der Anbetung und Verehrung dreier Wesenheiten, die sie die »Heilige Dreifaltigkeit« nannte. Casmir vermutete, daß dahinter der Einfluß von Bruder Umphred steckte, den er verabscheute. Er fragte barsch: »Was wollt Ihr?«
»Gestern abend beobachtete ich König Aillas, als er zum Bankett hereinkam.«
»Na und?«
»Kam Euch sein Gesicht nicht irgendwie bekannt vor?« Ein bedeutungsvolles Lächeln spielte auf Bruder Umphreds Lippen.
Casmir starrte ihn an. »In der Tat. Was wißt Ihr? Redet!«
»Erinnert Ihr Euch an den jungen
Weitere Kostenlose Bücher