Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
klatschten, kleine Intrigen planten, über Kleider und Manieren diskutierten und die Personen analysierten, die nach Haidion kamen, Suldrun den Hof zu machen. Suldrun fand kaum Einsamkeit und nur wenige Gelegenheiten, den alten Garten aufzusuchen.
Eines Sommermorgens schien die Sonne so köstlich, und die Drossel sang solch klagende Weisen in der Orangerie, daß Suldrun den unwiderstehlichen Drang verspürte, den Palast zu verlassen. Sie schützte Unwohlsein vor, um einen Vorwand zu haben, sich zurückzuziehen, und rannte heimlich, so daß niemand sie bemerke und gar ein Stelldichein mit einem Liebhaber vermute, die Arkade hinauf, durch das alte Tor und in den Garten.
Etwas hatte sich verändert. Es kam ihr vor, als sähe sie den Garten zum ersten Male, obwohl jedes Detail, jeder Baum und jede Blume ihr vertraut und teuer waren. Sie schaute sich voller Trauer über die verlorene Einbildungskraft der Kindheit um. Sie sah Spuren der Vernachlässigung: Glockenblumen, Anemonen und Veilchen, bescheiden im Schatten wachsend, wurden bedrängt von frech sich breitmachenden Grasbüscheln. Gegenüber, zwischen den Zypressen und Olivenbäumen, ragten Nesseln stolzer empor als der Affodill. Der Pfad, den sie so liebevoll mit Strandkieseln gepflastert hatte, war vom Regen aufgerissen.
Suldrun ging langsam zu der alten Linde, unter der sie so viele Stunden träumend gesessen hatte ... Der Garten schien kleiner geworden. Gewöhnliches Sonnenlicht durchflutete die Luft anstelle des alten Zaubers, der vormals allein diesen Ort beherrscht hatte. Und hatten nicht auch die wilden Rosen einen reicheren Duft verströmt, als sie diesen Garten zum ersten Mal betreten hatte? Das Knirschen von Schritten ließ sie herumfahren, und vor ihr stand mit strahlendem Gesicht Bruder Umphred. Er trug eine braune Kutte, zusammengehalten von einer schwarzen Kordel. Die Kapuze hing ihm zwischen den rundlichen Schultern; seine Tonsur leuchtete rosafarben.
Nach einem raschen Blick nach links und rechts verbeugte sich Bruder Umphred und faltete die Hände vor der Brust. »Liebe Prinzessin, gewiß seid Ihr doch nicht ohne Begleitung so weit gegangen?«
»Das bin ich in der Tat, kam ich doch hierher, um allein zu sein.« Suldruns Stimme war bar jeder Wärme. »Es gefällt mir, allein zu sein.«
Bruder Umphred ließ, immer noch lächelnd, erneut seinen Blick über den Garten schweifen. »Dies ist ein friedlicher Zufluchtsort. Auch ich liebe die Einsamkeit. Ist es möglich, daß wir beide aus dem gleichen Holze geschnitzt sind?« Bruder Umphred trat einen Schritt vor, so daß er kaum mehr als eine Elle vor Suldrun stand. »Es ist mir eine große Freude, Euch hier anzutreffen. Schon lange will ich mit Euch ein ernstes Wort reden.«
Suldrun antwortete mit noch kühlerer Stimme: »Ich habe nicht das Verlangen, mit Euch oder mit sonst jemandem zu reden. Ich kam hierher, um allein zu sein.«
Bruder Umphred schnitt eine gequält lustige Grimasse. »Ich werde sofort gehen. Dennoch – haltet Ihr es für schicklich, Euch allein an einem so einsamen Ort aufzuhalten? Denkt nur, was für ein Gerede entstünde, würde dies ruchbar! Alle würden sich fragen, wen Ihr wohl mit solcher Vertraulichkeit beehrt.« Suldrun wandte ihm in eisigem Schweigen den Rükken zu. Bruder Umphred zog erneut eine komische Grimasse, zuckte die Achseln und stapfte langsam den Pfad wieder hinauf.
Suldrun setzte sich neben die Linde. Bruder Umphred, so vermutete sie, lauerte irgendwo oben zwischen den Felsen, in der Hoffnung, sie mit ihrem vermeintlichen Liebhaber beim Rendezvous zu erspähen.
Schließlich stand sie auf und machte sich auf den Rückweg. Das schändliche Eindringen von Bruder Umphred hatte einiges von dem Zauber des Gartens zurückgebracht, und Suldrun blieb stehen, um Unkraut auszurupfen. Vielleicht würde sie am nächsten Tag in der Frühe wiederkommen und die Nesseln ausreißen.
Bruder Umphred sprach mit Königin Sollace und machte eine Reihe von Vorschlägen. Sollace überlegte, dann gab sie in einem Geist von kalter und wohlbedachter Bosheit – sie hatte schon seit langem entschieden, daß sie nicht sonderlich viel für Suldrun übrig hatte – die entsprechenden Anweisungen.
Mehrere Wochen vergingen, ehe Suldrun – entgegen ihrer ursprünglichen Absicht – den Garten wieder betrat. Als sie durch die alte Holztür trat, gewahrte sie eine Gruppe von Maurern, die an dem alten Tempel arbeiteten. Sie hatten die Fenster vergrößert, eine Tür eingefügt und die
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