Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Entschuldigung und verließ die Bankettafel. Lady Desdea ging mit einem angenehmen Gefühl von Schadenfreude davon.
König Casmir hatte seit zwanzig Jahren keinen Fuß mehr in den alten Garten gesetzt. Er stieg einen gewundenen Pfad hinunter, dessen Sandboden fein säuberlich mit Kieselsteinen ausgelegt war, mit Bäumen, Blumen und Kräutern zur Linken und zur Rechten. Auf halbem Weg zum Strand traf er auf Suldrun. Sie kniete auf dem Pfad, damit beschäftigt, Kiesel in den Sand zu pressen.
Suldrun blickte ohne Überraschung auf. König Casmir schaute schweigend über den Garten, dann blickte er hinunter auf Suldrun, die sich langsam erhob. König Casmir fragte mit ruhiger Stimme: »Warum hast du meine Anordnungen nicht beachtet?«
Suldrun starrte ihn mit offenem Mund an. »Welche Anordnungen?«
»Ich hatte befohlen, daß du mit König Deuel von Pomperol und Prinz Kestrel, seinem Sohn, zur Tafel sitzest.«
Suldrun forschte in ihrer Erinnerung nach, und der leiernde Klang von Lady Desdeas Stimme wurde ihr wieder gegenwärtig. Sie schielte zur Seite auf das Meer und sagte: »Es ist möglich, daß Lady Desdea etwas gesagt hat, aber sie redet so viel, daß ich selten zuhöre.«
König Casmirs Gesicht erheiterte ein kühles Lächeln. Auch er fand, daß Lady Desdeas Sprache von unnötiger Weitschweifigkeit war. Erneut ließ er einen forschenden Blick über den Garten schweifen. »Warum kommst du hierher?«
Zögernd antwortete Suldrun: »Ich bin hier allein. Niemand behelligt mich hier.«
»Aber fühlst du dich nicht einsam?«
»Nein. Ich stelle mir vor, die Blumen sprechen mit mir.«
König Casmir grunzte. Solche Grillen bei einer Prinzessin waren unnötig und unpraktisch. Vielleicht war sie wirklich exzentrisch. »Solltest du dich nicht mit anderen Mädchen deines Standes vergnügen?«
»Das tue ich doch, Vater; bei meinen Tanzstunden.«
König Casmir musterte sie prüfend. Sie hatte sich eine kleine weiße Blume in ihr schimmerndes Goldhaar gesteckt, ihre Züge waren ebenmäßig und zierlich. Zum erstenmal sah König Casmir seine Tochter als etwas anderes als ein schönes, geistesabwesendes Kind. »Komm mit«, sagte er barsch. »Wir gehen sofort zu dem Bankett. Dein Kleid ist alles andere als angemessen, aber weder König Deuel noch Kestrel werden Anstoß daran nehmen.« Er bemerkte Suldruns melancholische Miene. »Nun, magst du nicht zu einem Bankett gehen?«
»Vater, es sind Fremde. Warum muß ich ihnen heute begegnen?«
»Weil du zur gehörigen Zeit heiraten mußt und Kestrel vielleicht die vorteilhafteste Partie ist.«
Suldruns Gesicht wurde noch trauriger. »Ich dachte, ich sollte Prinz Bellrath von Caduz heiraten.«
König Casmirs Züge verhärteten sich. »Wo hast du das gehört?«
»Prinz Bellrath selbst hat es mir gesagt.«
König Casmir stieß ein rauhes Lachen aus. »Vor drei Wochen wurde Prinz Bellrath mit Prinzessin Mahaeve von Dahaut vermählt.«
Suldruns Kinn sackte herunter. »Ist sie nicht schon eine erwachsene Frau?«
»Sie ist neunzehn Jahre alt und überdies häßlich.
Aber wie auch immer, er gehorchte seinem Vater, dem König, der Dahaut den Vorzug vor Lyonesse gab
– eine große Torheit, wie er noch merken wird ...
Dann hast du also Gefallen an Bellath gefunden?«
»Ich mochte ihn ganz gern.«
»Das hat jetzt keine Bedeutung mehr. Wir brauchen sowohl Pomperol als auch Caduz. Wenn wir uns mit Deuel verbinden, bekommen wir sie beide. So, nun komm, und daß du mir artig zu Prinz Kestrel bist!« Er drehte sich auf dem Absatz um. Suldrun folgte ihm lustlos.
An der Bankettafel wurde sie neben Prinz Kestrel gesetzt, der mit vornehmem Getue ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versuchte. Suldrun indes beachtete ihn gar nicht. Sowohl Kestrel als auch die Umstände langweilten sie.
Im Herbst desselben Jahres gingen König Quairt von Caduz und Prinz Bellath in den Langen Hügeln auf die Jagd. Sie wurden von maskierten Banditen überfallen und getötet. Dadurch wurde Caduz in Verwirrung, Unsicherheit und Zweifel gestoßen.
In Lyonesse entdeckte König Casmir einen Anspruch auf den Thron von Caduz, herrührend von seinem Großvater, Herzog Cassander, dem Bruder von Königin Lydia von Caduz.
Der Anspruch, der sich auf das Übergehen der Abstammungslinie von Schwester auf Bruder und von dort auf einen Abkömmling zweiten Grades begründete, war zwar (wenn auch nur mit Einschränkungen) rechtsgültig in Lyonesse und auch in den beiden Ulflanden, lief jedoch den strikt
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