Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
patrilinealen Gebräuchen Dahauts zuwider. Die Gesetze von Caduz selbst waren unklar.
Um seinem Anspruch größeren Nachdruck zu verleihen, ritt Casmir an der Spitze von hundert Rittern nach Montroc, der Hauptstadt von Caduz, was sofort König Audry von Dahaut auf den Plan rief. Er verkündete, daß er unter keinen Umständen zulasse, daß Casmir Caduz so leicht seiner Krone einverleibe, und begann ein großes Heer auszuheben.
Die Herzöge und Grafen von Caduz begannen, dadurch ermutigt, ihre Abneigung gegen Casmir zu bezeigen, und viele spekulierten immer offener darüber, wer wohl jene Banditen gewesen sein mochten, die in einer Gegend, die normalerweise so ruhig und friedlich war, so schnell, so tödlich und so anonym zugeschlagen hatten.
Casmir erkannte rasch, woher der Wind wehte. Eines stürmischen Nachmittags, als die Edlen von Caduz im Konklave saßen, betrat eine in Weiß gekleidete Zauberin den Raum, hoch über dem Kopf ein gläsernes Gefäß haltend, dem eine Wolke von Farben entströmte, die wie Rauch hinter ihr her wehte. Wie in Trance nahm sie die Krone auf und setzte sie auf den Kopf von Herzog Thirlach, Gemahl von Etaine, Casmirs jüngerer Schwester. Die Frau in Weiß verließ den Raum und ward nie mehr gesehen. Nach einigem Hin und Her wurde das Omen für bare Münze genommen und Thirlach als neuer König inthronisiert. Casmir ritt mit seinen Rittern heim, zufrieden, daß er alles Menschenmögliche getan hatte, seine Interessen durchzusetzen, und in der Tat war seine Schwester Etaine, jetzt Königin von Caduz, eine Frau von respekterheischender Persönlichkeit.
Suldrun wurde vierzehn Jahre alt und damit heiratsfähig. Die Kunde von ihrer Schönheit war weit verbreitet, und nach Haidion kamen eine Reihe junger Granden und andere, die nicht mehr so jung waren, sich ihr eigenes Urteil über die berühmte Prinzessin Suldrun zu bilden.
König Casmir gewährte allen die gleiche Gastfreundschaft, hatte jedoch keine Eile damit, einen der Bewerber zu ermutigen, ehe er nicht alle in Frage Kommenden sorgfältig geprüft hatte.
Suldruns Leben wurde zunehmend komplexer, häuften sich doch nun Bälle und Bankette, Feste und närrische Lustbarkeiten. Einige der Besucher fand sie angenehm, andere weniger. König Casmir fragte sie freilich nie nach ihrer Meinung, die ihn ohnehin nicht interessierte.
Dann tauchte eine andere Art von Besucher in Lyonesse auf: Bruder Umphred, ein wohlbeleibter, rundgesichtiger Evangelist aus Aquitanien, der über die Insel Whanish und die Diözese von Skro nach Lyonesse gekommen war.
Mit einem Instinkt so sicher und unfehlbar wie der, der dem Frettchen den Weg zur Kehle des Kaninchens weist, fand Bruder Umphred das Ohr von Königin Sollace. Bruder Umphred gelang es mit Hilfe seiner eindringlichen, honigsüßen Stimme, Königin Sollace zum Christentum zu bekehren.
Bruder Umphred errichtete eine Kapelle im Palaemonturm, nur ein paar Schritte von Königin Sollaces Gemächern entfernt.
Auf seine Anregung hin wurden Cassander und Suldrun getauft und mußten fortan der frühmorgendlichen Messe in der Kapelle beiwohnen.
Als nächstes versuchte Bruder Umphred, König Casmir zu bekehren – ein Unterfangen, mit dem er sich übernahm.
»Zu welchem Zwecke seid Ihr eigentlich hier?« begehrte König Casmir zu wissen. »Seid Ihr vielleicht ein Spion Roms?«
»Ich bin ein demütiger Diener des einzigen und allmächtigen Gottes«, sagte Bruder Umphred. »Ich bringe seine Frohe Botschaft der Hoffnung und der Liebe allen Menschen, trotz Leid und Trübsal, nicht mehr.«
König Casmir gab ein spöttisches Lachen von sich. »Und was ist mit den großen Kathedralen in Avallon und Taciel? Hat ›Gott‹ das Geld dafür gegeben? Nein. Es wurde den Bauern abgepreßt.«
»Majestät, wir empfangen nur bescheidene Almosen.«
»Es wäre doch wohl viel einfacher, wenn der allmächtige Gott das Geld selbst schüfe ... Schluß mit Eurer Bekehrerei! Nehmt Ihr auch nur einen einzigen Heller von irgend jemandem in Lyonesse an, dann lasse ich Euch von hier bis Port Fader peitschen und in einem Sack nach Rom verschiffen.«
Bruder Umphred verbeugte sich ohne sichtbaren Groll. »Es sei, wie Ihr befehlt.«
Suldrun fand Bruder Umphreds Lehren unbegreiflich und seine Art zu vertraulich. Sie hörte auf, die Messe zu besuchen, und zog sich so den Unwillen ihrer Mutter zu.
Suldrun fand nur wenig Zeit für sich selbst. Während der Tagesstunden war sie fast ständig von Zofen umgeben, die schwatzten und
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