Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
kleinen See mit Hügeln im Norden und Süden, während sich nach Westen der Ceald dehnte. Ursprünglich hatte Watershade dazu gedient, über den Ceald zu wachen, aber dreihundert Jahre waren vergangen, seit zum letztenmal eine bewaffnete Expeditionzu seinenTorenhinausgerittenwar, unddieVerteidigungsanlagen waren zu einem Zustand malerischer Baufälligkeit heruntergekommen. Die Waffenwerkstatt lag verwaist; nur gelegentlich noch erscholl das Klingen des Schmiedehammers, wenn Hufeisen und Schaufeln geschmiedet wurden. Die Zugbrücke war seit Menschengedenken nicht mehr hochgezogen worden. Die gedrungenen Rundtürme Watershades standen halb im Wasser, halb am Ufer. Ihre kegelförmigen Ziegeldächer wurden von mächtigen Bäumen überschattet.
Im Frühling schwärmten Amseln über die Marsch, und Krähen kreisten krächzend am Himmel. Im Sommer summten Bienen durch die Maulbeerbäume, und die Luft roch nach Riedgras und vom Wasser gewaschenen Weiden. Des Nachts riefen Kuckucke im Wald, und des Morgens schnappten Forellen und Lachse nach dem Köder, kaum daß er das Wasser berührte. Ospero, Aillas und ihre häufigen Gäste speisten zu Abend im Freien auf der Terrasse und bewunderten manch einen prachtvollen Sonnenuntergang über dem Janglin-Wasser. Im Herbst färbte sich das Laub bunt, und die Scheuern füllten sich prall mit Frucht. Im Winter brannten in allen Kaminen Feuer, und das weiße Sonnenlicht brach sich in funkelnden Brillanten auf dem Janglin-Wasser, während Lachs und Forelle am Grunde des Sees lagen und sich weigerten, nach dem Köder zu schnappen.
Osperos Temperament war eher poetisch denn praktisch. Er interessierte sich weder sonderlich für die Ereignisse am königlichen Palast Miraldra noch für den Krieg mit Lyonesse. Seine Neigungen waren die des Scholaren und Altertumsforschers. Für die Erziehung Aillas' holte er Weise von hohem Ruf nach Watershade. Aillas erfuhr eine Ausbildung in Mathematik, Astronomie, Musik, Geographie, Geschichte und Literatur. Prinz Ospero verstand wenig von der Kriegskunst, daher delegierte er diesen Abschnitt in Aillas' Ausbildung an Tauncy, seinen Vogt, einen Veteranen aus vielen Feldzügen. Aillas lernte denUmgang mit Bogen und Schwert und jene wenig bekannte, schwierige Kunst der galicischen Banditen: das Messerwerfen. »Dieser Gebrauch des Messers«, erklärte Tauncy, »ist weder höflich noch ritterlich. Es ist vielmehr das Hilfsmittel des Banditen, der Kunstgriff des Mannes, der töten muß, um die Nacht zu überleben. Das Wurfmesser ist eine hervorragende Waffe innerhalb seiner Reichweite von zehn Ellen; darüber hinaus ist der Pfeil vorzuziehen. Aber in enger Bedrängnis ist eine Handvoll Wurfmesser ein höchst tröstlicher Gefährte.
Auch ziehe ich das Kurzschwert dem schweren Gerät, wie es der Ritter favorisiert, vor. Mit einem Kurzschwert verstümmle ich einen schwer gepanzerten Reiter im Handumdrehen oder töte ihn, wenn es mir beliebt. Es ist die Überlegenheit der Geschicklichkeit über die rohe Masse. Hier! Nimm diesen Zweihänder, und schlage nach mir.«
Aillas wog unschlüssig das schwere Schwert. »Ich befürchte, ich könnte Euch in zwei Teile hauen.«
»Das haben stärkere Männer als du versucht, und wer steht hier, davon zu erzählen? Also schwinge es, und nicht gezaudert!«
Aillas holte zu einem mächtigen Streich aus; die Klinge wurde abgelenkt und sauste ins Leere. Er versuchte es ein zweites Mal. Tauncy drehte blitzschnell seinen Arm um, und das Schwert fiel ihm aus der Hand. »Noch einmal«, befahl Tauncy. »Siehst du, wie das geht? Zack, ein leichter Schlag, die Klinge gleitet ab, der Streich geht fehl! Du kannst all dein Gewicht in den Hieb legen, ich springe dazwischen, ich drehe mich, das Schwert entgleitet deinem Griff; ich stoße zu, in die Lücke in deiner Rüstung; hinein geht das Schwert, und heraus fließt dein Leben.«
»Das ist eine nützliche Kunst«, sagte Aillas. »Besonders gegen unsere Hühnerdiebe.«
»Ha! Du wirst nicht für den Rest deiner Tage auf Watershade bleiben – nicht, wo das Land im Kriegliegt. Überlaß die Hühnerdiebe mir. Doch nun laß uns weitermachen. Du schlenderst durch eine Seitengasse Avallons. Du trittst in die Taverne auf einen Becher Wein. Ein kecker Raufbold behauptet, du hättest sein Weib belästigt. Er zückt seinen Dolch und dringt gegen dich. Los! Dein Messer! Heraus damit, und flink geworfen! Alles in einer einzigen Bewegung! Du gehst zu ihm, ziehst dein Messer aus des SchurkenHals, wischst
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