Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Casmir fand eine schweigende Gruppe auf der Terrasse vor. Er schaute hierhin und dorthin. »Wo ist Herzog Carfilhiot?«
Herzog Tandre von Sondbehar trat vor. »Majestät, nachdem Ihr fortgegangen wart, wartete er noch eine Minute. Dann ließ er sich sein Roß bringen und ritt davon mit seinem Gefolge.«
»Was sagte er?« schrie König Casmir. »Machte er keine Mitteilung irgendeiner Art?«
»Er sagte kein Wort, Herr«, antwortete Herzog Tandre.
König Casmir schleuderte einen furchtbaren Blick über die Terrasse, dann drehte er sich abrupt um und ging mit langen Schritten zurück in den Palast Haidion.
König Casmir brütete eine Woche lang, dann stieß er eine grimmige Verwünschung aus und begab sich an die Abfassung eines Briefes. Die endgültige Version lautete:
Zur Kenntnis des
Edlen Herzogs Faude Carfilhiot
Auf Tintzin Fyral, Seiner Burg
Edler Herr! Mit Mühe schreibe ich diese Worte, in Bezugnahme auf einen Vorfall, welcher mich in große Verlegenheit gestürzt. Ich kann mich nicht gebührend entschuldigen, bin ich doch ebenso ein Opfer der Umstände wie Ihr selbst – vielleicht sogar noch mehr. Ihr erlittet eine Schmach, die verständlicherweise Eure Entrüstung hervorrief. Doch besteht kein Zweifel daran, daß ein Ansehen wie das Eure gefeit ist gegen die Grillen des nörglerischen, törichten Mädchens. Andererseits jedoch habe ich das Privileg verloren, unsere Häuser durch ein eheliches Band zu vereinen.
Trotz allem kann ich Euch meine Betrübnis ausdrücken, daß dieser Vorfall auf Haidion geschah und also auf diese Weise meine Gastfreundschaft beeinträchtigte.
Ich vertraue darauf, daß Ihr mich in Eurer Großmütigkeit auch weiterhin als einen Freund betrachtet und einen Verbündeten in gemeinsamen zukünftigen Anstrengungen.
Mit besten Grüßen verbleibe ich Casmir,
Lyonesse,
der König
Ein Bote brachte den Brief nach Tintzin Fyral. Nach angemessener Zeit kehrte er mit einer Antwort zurück.
Zu Händen
Seiner Erhabenen Majestät
Casmir von Lyonesse
Hochverehrter Herr! Seid versichert, daß die Gefühle, welche der von Euch angesprochene Vorgang in mir hervorrief, zwar wie ein Sturm sich in mir erhoben & verständlicherweise, wie ich hoffe – jedoch auch ebenso rasch wie ein solcher wieder abflauten, ehe sie die engen Grenzen meiner Nachsicht zu überschreiten vermochten. Ich stimme Euch darin zu, daß unsere persönliche Verbindung in keiner Weise von den Unwägbarkeiten der Launen und Vorlieben eines jungen Mädchens kompromittiert werden sollte. Wie bisher stets könnt Ihr meines aufrichtigen Respekts versichert sein wie auch meiner großen Hoffnung, daß Euer edles und legitimes Streben von Erfolg gekrönt sein möge. Wann immer Ihr den Wunsch verspüren solltet, etwas vom Evandertal zu sehen, seid versichert, daß ich die Gelegenheit begrüßen werde, Euch die Gastfreiheit von Tintzin Fyral zu erzeigen.
Ich verbleibe in aller Geneigtheit
Euer Freund
Carfilhiot
König Casmir studierte den Brief sorgfältig. Offenbar hegte Carfilhiot keinen Groll. Dennoch fand Casmir, daß die Bekundungen seines guten Willens, so herzlich sie auch waren, ein wenig deutlicher hätten sein können.
8
König Granice von Troicinet war ein dünner, grauhaariger und eckiger Mann,von schroffer Art und bemerkenswert knapp und präzise, bis die Dinge schiefliefen. Dann versengte er die Luft mit Flüchen und Verwünschungen. Er hatte sich sehnlichst einen Sohn und Erben gewünscht, aber Königin Baudille schenkte ihm vier Töchter hintereinander, jede geboren unter den wütenden Verwünschungen Granices. Die erste Tochter war Lorissa, die zweite Aethel, die dritte Ferniste, die vierte Byrin; danach wurde Baudille unfruchtbar, und Granices Bruder Prinz Arbamet wurde mutmaßlicher Thronerbe. Granices zweiter Bruder, Prinz Ospero, ein Mann von kompliziertem Wesen und etwas gebrechlicher Konstitution, hatte nicht nur keinen Ehrgeiz auf den Thron, sondern haßte das höfische Leben mit seiner Förmlichkeit und seinem gekünstelten Pomp so sehr, daß er fast völlig zurückgezogen auf seinem Landgut Watershade lebte, im Zentrum des Ceald, Troicinets Binnenebene. Osperos Gemahlin war gestorben während der Geburt seines einzigen Sohnes, Aillas, welcher heranwuchs zu einem kräftigen, breitschultrigen Burschen von mittlerer Statur, eher straff und sehnig als massig, mit blondbraunem, auf Ohrlänge gestutztem Haupthaar und grauen Augen.
Watershade lag prachtvoll am Janglin-Wasser, einem
Weitere Kostenlose Bücher