Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
wenn auch nur für einen Augenblick. Vielleicht hättest du künftige Ereignisse ändern können!«
Shimrod gab weder eine Erwiderung, noch hielt er inne, da er nur zu gut wußte, daß alles, was einem im Wald von Tantrevalles angeboten wurde, einen maßlosen Wucherpreis kostete. Die Stimme wurde schwächer und verhallte hinter ihm.
Wenig später stieß er auf die Große Nord-Süd-Straße, einen Pfad, der nur wenig breiter war als der erste, und flog mit langen Sätzen nach Norden.
An einer Stelle, wo grauer Fels sich am Wegesrand erhob, hielt er an, um zu trinken. Aus den Spalten und Ritzen zwischen den Felsen wuchsen knorrige schwarze Zypressen. In ihrem Schatten stand niedriges grünes Buschwerk, reich beladen mit dunkelroten Rätselbeeren, aus welchen die Elfen ihren Wein preßten. Shimrod streckte die Hand aus, um von den Beeren zu naschen, doch als er im selben Moment aus dem Augenwinkel das Flattern hauchdünner Gewänder bemerkte, besann er sich eines Besseren und kehrte auf den Pfad zurück, nur um dort sogleich mit Beeren beworfen zu werden. Er ignorierte den Schabernack ebenso wie das Getrillere und Gekicher, das folgte.
Die Sonne sank tiefer, und Shimrod kam in eine Gegend voll niedriger Felsen, wo die Bäume knorrig und krumm wuchsen und das Sonnenlicht die Farbe von wäßrigem Blut annahm, während die Schatten schmierige Kleckse von dunklem Blau waren. Nichts regte sich hier, kein Windhauch bewegte die Blätter, und doch spürte er, daß diese fremdartige Gegend gefährlich war, so daß er sie besser noch vor Einbruch der Nacht hinter sich brachte. Mit großer Geschwindigkeit sprang Shimrod weiter nach Norden.
Die Sonne versank unter dem Horizont, düstere Farben füllten den Himmel. Shimrod erklomm den Gipfel eines Steinhügels. Er stellte eine kleine Schachtel auf den Boden, die sich rasch auf die Größe einer Hütte ausdehnte. Shimrod trat ein, verschloß und verriegelte die Tür, bereitete sich ein Mahl aus den Vorräten der Speisekammer und streckte sich dann auf dem Bett aus und schlief. Irgendwann in der Nacht wachte er auf. Eine halbe Stunde lang beobachtete er, wie kleine rote und blaue Lichter in einer langen Reihe über den Waldboden an seiner Hütte vorübergeisterten, dann kehrte er in sein Bett zurück.
Eine Stunde später weckte ihn ein Geräusch aus dem Schlaf, wie wenn Finger oder Krallen über Holz kratzten. Zuerst an der Wand, dann, heftiger, an seiner Tür; schließlich an den Fensterscheiben. Ein Zittern ging durch die Hütte, als das Wesen auf das Dach sprang.
Shimrod zündete die Lampe an, zog sein Schwert und wartete. Eine Weile verstrich.
Plötzlich schob sich ein langer, kittfarbener Arm durch den Schornstein. Die Finger, an deren Spitzen kleine Wülste saßen wie an den Zehen eines Frosches, tasteten sich in den Raum. Shimrod schwang sein Schwert und trennte die Hand am Gelenk ab. Schwarzgrünes, schleimiges Blut troff zäh aus dem Stumpf. Vom Dach kam ein gequältes Stöhnen. Die Kreatur fiel herunter auf die Erde, und es herrschte wieder Ruhe.
Shimrod inspizierte die abgetrennte Hand. Die vier Finger waren ringgeschmückt. Am Daumen steckte ein schwerer Silberring mit einem türkisfarbenen Cabochon. Eine mysteriöse Inschrift war kreisförmig um den Stein eingraviert. Magie? Nun, welcher Natur sie auch immer sein mochte, sie hatte die Hand nicht zu schützen vermocht.
Shimrod streifte die Ringe ab, wusch sie sorgfältig, steckte sie in seine Tasche und legte sich wieder schlafen.
Am Morgen ließ Shimrod die Hütte wieder zusammenschrumpfen und setzte seine Reise fort. Nach einer Weile endete der Pfad am Ufer des Tway-Flusses. Shimrod überquerte den Fluß mit einem einzigen Satz. Am anderen Ufer ging der Pfad weiter. Er verlief jetzt neben dem Fluß, der sich in Abständen zu friedlichen, stillen Teichen verbreiterte, in denen sich Trauerweiden und Schilf spiegelten. Dann schwenkte der Fluß nach Süden, und der Pfad verlief wieder nach Norden.
Am frühen Nachmittag erreichte er den Eisenpfahl, der die Stelle markierte, die als Twittens Kreuzweg bekannt war. Ein Schild mit der Aufschrift »Zur Lachenden Sonne und zum weinenden Mond« hing über der Tür eines langen, niedrigen Gasthofes, der aus roh behauenem Holz gebaut war. Die schwere, von eisernen Bändern gehaltene Bohlentür führte direkt in den Schankraum des Gasthofes.
Als Shimrod eintrat, sah er auf der linken Seite Bänke und Tische und auf der rechten einen Schanktisch. Hinter diesem stand ein
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