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Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse

Titel: Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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gesetzt. Mehrere Tage verbrachte er damit, sich aus Weidenruten und gelber Seide Flügel zu fertigen, die er an seinen dürren Oberkörper schnallte. Aus seinem Fenster heraus sah Shimrod ihm zu, wie er über die Wiese von Lally rannte und mit seinen Flügeln schlug und in die Höhe sprang, in der Hoffnung, sich wie ein Vogel in die Lüfte zu erheben. Einen Moment lang war Shimrod versucht, ihn durch einen Zauber emporzuheben und ihn durch die Luft gleiten zu lassen, doch dann beherrschte er sich, aus Furcht, Grofinet könne vielleicht in seinem Überschwang zu hoch steigen und sich in Gefahr bringen. Am späten Nachmittag wagte Grofinet einen mächtigen Satz und plumpste in den Teich, zur übermütigen Schadenfreude der Elfen von Tuddifot Shee, die kichernd herumpurzelten und -kugelten und mit den Beinen in der Luft zappelten. Grofinet warf wütend die Flügel weg und humpelte nach Trilda zurück.
    Als nächstes widmete sich Grofinet mit Eifer dem Studium der ägyptischen Pyramiden. »Sie sind außerordentlich schön und machen den Pharaonen Ehre!« erklärte Grofinet.
    »So ist es.«
    Am folgenden Morgen griff Grofinet das Thema erneut auf. »Diese mächtigen Monumente sind faszinierend in ihrer Schlichtheit.«
    »Ganz recht.«
    »Ich frage mich, wie groß sie wohl sein mögen.«
    Shimrod zuckte die Achseln. »Um die hundert Ellen auf jeder Seite, denke ich.«
    Später ertappte Shimrod Grofinet, wie er auf der Wiese Entfernungen abschritt. Er rief: »Was machst du da?«
    »Nichts von Bedeutung.«
    »Ich hoffe nur, du hast nicht die Absicht, eine Pyramide zu bauen! Sie würde uns das Sonnenlicht nehmen!«
    Grofinet hielt in seinem Schreiten inne. »Vielleicht habt Ihr recht.« Widerstrebend gab er seinen Plan auf. Doch schnell entdeckte er ein neues Interesse. Am Abend kam Shimrod in den Salon, um die Lampen anzuzünden. Da trat Grofinet aus dem Schatten. »Nun, Herr Shimrod, habt Ihr mich gesehen, als Ihr vorbeikamt?«
    Shimrod war mit den Gedanken woanders gewesen, und außerdem hatte Grofinet etwas außerhalb seines Blickfeldes gestanden. »Um ehrlich zu sein, Grofinet, ich habe dich nicht gesehen.«
    »Dann«, jubelte Grofinet, »habe ich die Kunst gelernt, mich unsichtbar zu machen.«
    »Wunderbar! Was ist dein Geheimnis?«
    »Ich bediene mich der schieren Willenskraft, mich außerhalb der Wahrnehmung zu stellen!«
    »Ich muß diese Methode lernen.«
    »Geistige Kraft, rein und klar, ist der Schlüssel«, erklärte Grofinet und fügte die Warnung hinzu: »Wenn es Euch nicht auf Anhieb gelingt, verzagt nicht. Es ist ein schwieriges Kunststück.«
    »Wir werden sehen.«
    Am folgenden Tag experimentierte Grofinet mit seiner neu erworbenen Fertigkeit. Shimrod rief: »Grofinet! Wo steckst du? Hast du dich schon wieder unsichtbar gemacht?« Woraufhin Grofinet triumphierend aus einer Ecke des Zimmers hervortrat. Eines Tages hängte sich Grofinet in zwei Gurte, die er an den Deckenbalken des Arbeitszimmers befestigt hatte, ähnlich einer Hängematte. Als Shimrod in den Raum trat, hätte er vielleicht tatsächlich nichts bemerkt, hätte nicht Grofinet vergessen, seinen Schwanz einzuziehen, der nun in der Mitte des Raumes baumelte und in einer gelbbraunen pelzigen Quaste endete.
    Schließlich entschloß sich Grofinet, von seinen Schrullen abzulassen und ein ernsthafter Magier zu werden. Zu diesem Behufe suchte er von nun an häufig das Arbeitszimmer auf, um Shimrod bei seinen magischen Handhabungen zuzuschauen. Er hatte jedoch eine heftige Angst vor Feuer. Wann immer Shimrod aus dem einen oder anderen Grund eine Flammenzunge erweckte, schoß Grofinet in panischem Schrecken zur Tür hinaus, und schließlich ließ er von seinem Plan, Magier zu werden, ab.
    Die Mittsommernacht nahte. Eine Reihe lebhafter Träume störte Shimrods Schlaf. Die Landschaft war immer dieselbe: eine weiße Steinterrasse über einem weißen Sandstrand und einem glatten blauen Meer im Hintergrund. Eine marmorne Balustrade umschloß die Terrasse, und die Brandung brach sich schäumend auf dem Strand.
    Im ersten Traum lehnte Shimrod an der Balustrade und blickte müßig auf die See hinaus. Da kam ein dunkelhaariges Mädchen in einem ärmellosen Kittel aus weichem, graubraunem Stoff den Strand heraufgeschlendert. Als es näher kam, sah Shimrod, daß es schlank und etwas mehr als mittelgroß war. Sein dunkles, von einem dunkelroten Band zusammengehaltenes Haar hing ihm fast bis auf die Schultern. Wohlgeformt und anmutig waren die nackten Arme und Füße

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