Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
großer, schmalgesichtiger junger Bursche mit weißem Haupthaar und silbernen Augen und – so vermutete Shimrod – einem guten Schuß Halblingblut in den Adern.
Shimrod trat an den Schanktisch. Der Bursche kam zu ihm, um ihn zu bedienen. »Herr?«
»Ich wünsche eine Unterkunft, sofern vorhanden.«
»Ich glaube, wir sind voll belegt, Herr, wegen des Marktes, aber fragt am besten Hockshank, den Wirt. Ich bin nur der Bierkellner und habe keine Befugnis.«
»Dann seid so gut und ruft Hockshank.«
Eine Stimme sprach: »Wer spricht da meinen Namen?«
Aus der Küche kam ein Mann mit kurzen Beinen und breiten Schultern, auf denen ohne sichtbaren Hals der Kopf ruhte. Dickes, an Stroh erinnerndes Haar bedeckte einem Dach gleich die Wölbung des Schädels; goldene Augen und spitz zulaufende Ohren deuteten auch hier auf Halblingblut hin.
Shimrod antwortete: »Ich sprach Euren Namen, Herr. Ich wünsche Unterkunft, aber wie ich höre, seid Ihr wohl voll belegt.«
»Das ist mehr oder weniger richtig. Gewöhnlich kann ich mit Zimmern nach jedem Wunsch und Geldbeutel dienen, aber jetzt ist die Auswahl begrenzt. An was dachtet Ihr denn?«
»Ich hätte gern eine saubere und wohl durchgelüftete Kammer, frei von Insekten, mit einem bequemen Bett, gutem Essen – und alles zu möglichst bescheidenem Preis.«
Hockshank rieb sich das Kinn. »Heute morgen ward einer meiner Gäste von einem messinggehörnten Natrid gestochen. Er bekam Beklemmungen und rannte über die Ost-West-Straße davon, ohne seine Zeche zu bezahlen. Ich kann Euch seine Kammer anbieten, dazu gute Kost und zu einem niedrigen Preis. Ihr könnt aber auch den Stall mit dem Natrid teilen, natürlich zu einem geringeren Preis.«
»Ich ziehe die Kammer vor«, sagte Shimrod.
»Das würde ich an Eurer Stelle auch«, sagte Hockshank. »Hier entlang bitte.« Er führte Shimrod in eine Kammer, die Shimrods Bedürfnissen angemessen war.
»Ihr sprecht mit angenehmer Stimme und bewegt Euch wie ein vornehmer Herr, dennoch entdecke ich an Euch den Ruch von Magie.«
»Er entströmt vielleicht diesen Ringen.«
»Interessant!« sagte Hockshank. »Für diese Ringe biete ich Euch ein feuriges schwarzes Einhorn. Manche behaupten, nur eine Jungfrau dürfe dieses Tier reiten, aber schenkt dem keinen Glauben. Was schert sich ein Einhorn um Keuschheit? Selbst wenn es noch so scharfsinnig und empfindlich wäre, wie sollte es einen solchen Befund stellen? Würde ein Mädchen das Geheimnis so bereitwillig offenbaren? Das glaube ich nicht. Wir können diesen Gedanken getrost in den Bereich der Fabel verweisen.«
»Wie auch immer, ich brauche kein Einhorn.« Enttäuscht zog sich Hockshank zurück.
Shimrod kehrte wenig später in den Schankraum zurück und nahm gemächlich sein Abendessen ein. Andere Besucher des Goblinmarktes saßen in kleinen Gruppen zusammen und diskutierten über ihre Waren und wickelten Geschäfte ab. Auffällig war der Mangel an Fröhlichkeit: kein herzliches, überschwengliches Anstoßen, kein Lachen, keine Scherze. Statt dessen saßen die Gäste tief über ihre Tische gebeugt, tuschelnd und wispernd, hin und wieder verstohlen argwöhnische Blicke zur Seite werfend. Köpfe zuckten empört zurück, Augen rollten, geballte Fäuste bebten in mühsamer Selbstbeherrschung, Atem wurde zischend durch zusammengepreßte Zähne gezogen, halb unterdrückte Ausrufe der Entrüstung wegen übertrieben empfundenen Preisen drangen hier und dort aus den zusammenkauernden Runden der Feilschenden. Die meisten von ihnen handelten mit Amuletten, Talismanen, Kuriositäten und Ramschwaren von echtem oder angedichtetem Wert. Zwei trugen die blauweiß gestreiften Gewänder Mauretaniens, ein anderer den groben Kittel Irlands. Einige sprachen in den platten Dialekten Armorikas, und ein Mann mit goldenem Haar, blauen Augen und derben Gesichtszügen schien Langobarde oder Ostgote zu sein. Eine erkleckliche Anzahl trug Anzeichen von Halblingblut: spitze Ohren, ausgefallene Augenfarbe, zusätzliche Finger. Frauen waren nurwenige anwesend, und keine von ihnen zeigte Ähnlichkeit mit der, die zu treffen Shimrod hergereist war.
Shimrod beendete seine Mahlzeit, dann ging er auf seine Kammer und schlief ungestört bis zum Morgen durch.
Er aß zum Frühstück Aprikosen, Brot und Speck. Als er gesättigt war, schlenderte er ohne Hast zu der Wiese hinter dem Gasthof, die bereits Buden und Stände umsäumten.
Eine Stunde lang bummelte Shimrod umher. Schließlich setzte er sich auf eine Bank
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